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Hausmauer, auf der "verreckt doch mit eurem glück" steht

Anna Katharina Laggner

happy end kalender

Zufriedenheit, das nenn ich Glück

Zufrieden sein und sich dennoch nicht mit den Zuständen abfinden, das nenn ich Glück!

Von Anna Katharina Laggner

Man kennt das schon als Kind: Wochenlang kann man vor Aufregung nicht schlafen, schreibt Briefe ans Christkind, wartet schließlich mit hochroten Wangen, bis das Glöckchen endlich klingelt. Und dann?

Der FM4 Happy End Kalender
Wir sind 24 Tage lang dem Glück auf der Spur und testen uns von 1. bis 24. Dezember durch diverse Glücksversprechungen: von der Tageslichtlampe über verschiedene Apps bis hin zu Sex.

Alle Tage, alle Türchen

Ist alles schnell vorbei und hat im schlimmsten Fall nicht das gebracht, was man sich gewünscht hat. Die Mädchen unter diesen Kindern sind später die Bräute, die auf ihrer eigenen Hochzeit zusammenbrechen oder in alttestamentarische Raserei geraten, weil es regnet, weil eine Brautjungfer zu dick ist, weil jemand sich an den falschen Platz setzt, kurz: weil die Nerven flattern, nachdem man das Glück Wochen, Monate, ein Leben lang perfekt geplant und visualisiert hat.

Aber auf das Glück ist kein Verlass.

Und Hochzeiten komplett überbewertet.

Hausmauer "verreckt doch mit eurem glück" und schaufensterpuppe

Anna Katharina Laggner

Mein Glück, das ist die Zufriedenheit. Tatsächlich hielt ich mich bis zu dem Zeitpunkt, als ich eine Internetrecherche zum Thema begonnen habe, für einen sehr zufriedenen Menschen. Dann aber fand ich diesen selbsternannten Youtube-Coach (man muss ihn sich nicht anschauen), der in der ersten Minute seines Videos sagt, man müsse nur den Fokus ändern, nicht auf die eigenen Probleme und nicht auf Kriege, Hungersnöte, Terrorismus schauen, sondern bewusst woandershin.

Geht’s noch?

Was der Youtube-Coach als Zufriedenheit anpreist, ist Ignoranz zum Zwecke der Selbstoptimierung und nichts anderes als saturierte Unzufriedenheit („Mir geht’s zwar undufte, aber anderen geht’s noch unduftiger, deswegen geht’s mir eh ganz dufte“).

Weihnachtskarte als Bleistiftfutteral

Anna Katharina Laggner

Mich regt so etwas auf. Genauso wie die Weihnachtsgrüße der mich vertretenden Steuerberatungskanzlei, die mich alljährlich im Advent an das Totalversagen in der Bewertung von Arbeit erinnern: Heuer ist es ein aus doppeltem Styropor gefertigtes Bleistiftfutteral, das bei jeder Berührung ein blechernes Jingle Bells von sich gibt. Wer braucht so etwas? Vor allem aber: Warum ist die Arbeit der Steuerberatung so ungeheuerlich viel höher dotiert als etwa jene einer Kindergärtnerin oder eines Kindergärtners?

Da muss man doch ganz laut UNFAIR! schreien. Nun informiert mich aber das Netz, dass Zufriedenheit bedeute, mit den gegebenen Verhältnissen einverstanden zu sein. Und sagt mir außerdem ein Zufriedenheits-Selbsttest auf psychotherapiepraxis.at, ich sei nur „eher zufrieden“. Aber wen wundert’s, lautet doch die erste Testfrage, ob mein Leben meinen Idealvorstellungen entspreche.

Wo doch jede und jeder eigentlich weiß, dass die Idealvorstellung die Erzfeindin der Zufriedenheit ist. Da kommen nur unter dem Christbaum weinende Kleinkinder und unter dem Traualtar kreischende Bridezillas dabei raus.

Zufriedenheit geht nämlich so: nicht damit rechnen, dass es kommt wie geplant, sondern so, wie es ist. Ein positiver Nebeneffekt davon ist auch, dass man nicht allzu viel planen muss und daher genügend Energieressourcen frei hat, um sich über das aufzuregen, was falsch läuft in der Welt.

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