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Madame Nielsen

Sofie Amalie Klougart

Das abenteuerreiche Leben der Madame Nielsen

Vergiß’ alles, was du dir je über Performance-Künstler gedacht hast: Madame Nielsen weiß Bescheid. Ihr Roman „Der endlose Sommer“ ist eine Hymne und ein Abgesang auf die beste aller Zeiten im Leben.

Von Maria Motter

„Der endlose Sommer“ ist eine Familiensaga, ein Künstlerroman und eine außergewöhnliche Autobiografie. Und das auf gerade mal 190 Seiten, der Band hat kaum Gewicht. Viele andere AutorInnen würden für die Geschichte vermutlich das vierfache Volumen veranschlagen. Aber Madame Nielsen weiß Bescheid.

„Die Erzählung ist nicht »larger than life«, sie ist die einzige Rettung der Zeit“, schreibt sie an einer Stelle und sagt in Interviews: „Ich mag es, wenn ich etwas machen kann, wo dieser Ausnahmezustand entsteht, wo man nicht weiß, was hier los ist.“

„Der endlose Sommer“ von Madame Nielsen ist 2018 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Hannes Langendörfer hat die Erzählung aus dem Dänischen toll ins Deutsche übersetzt. Hier kannst du hineinlesen.

Also wer ist Madame Nielsen überhaupt?

Nielsen ist einer der drei häufigsten Nachnamen in Dänemark. Weil das Land auch eine Statistik über die Kombination von Vor- und Nachnamen führt, weiß es, dass die allermeisten neugeborenen Dänen 2017 den Namen Kirsten Nielsen tragen. Und der Mensch, der auslöst, dass man sich auch noch für Namensforschung interessiert, heißt gegenwärtig Madame Nielsen und ist Künstler.

Geboren 1963 als Carl Nielsen, kann die inzwischen wieder dänische Staatsbürgerin auf „previous lives“, auf frühere Leben, verweisen, die sich wie verrückte Abenteuer anhören und die Schlagzeilen machten. In Dänemark fragte man sich vor wenigen Jahren: Wer ist dieser Mann?

Ohne Namen, ohne Papiere und dann in den Irak

Buchcover Madame Nielsen "Der endlose Sommer"

Kiepenheuer & Witsch

Im Dezember 2000 verlässt Nielsen nicht nur die Wohnung, sondern seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter und lebt ohne Personenkennziffer, was ihm einen Haufen Scherereien und viel Aufmerksamkeit der Presse einhandelt. Er ‚gik bort’1963-2001eine_Biografie.pdf) ein Jahr später: er ist einfach weg – aber doch noch da. Er legt seinen Namen ab und lebt ohne Dokumente in Dänemark und in Deutschland. Es geht um viel mehr als um den Tod des Autors, den Roland Barthes bereits 1968 proklamiert hat.

Im Nachhinein heißt es, Nielsen wollte einmal wissen, wie man sich selbst auflöst, alles hinter sich lässt und neu beginnt und die eigene Identität zur Seite legt. Und so wird der Versuch unternommen, sich von der „zeitfressenden persönlichen Identität zu befreien“. Die Menschen kümmern sich heutzutage mehr denn je darum, eine Identität zu haben und ein immer größeres ich zu produzieren, erklärte der Namenlose den Entschluss. Doch wenn nur eine Person mitmacht, klappt die Umsetzung im Alltag mehr schlecht als recht.

Auch bei den Wiener Festwochen haben JournalistInnen Mühe, den Gast anzusprechen: 2007 wird auch in Wien die „Claus Beck-Nielsen Memorial Night“ begangen. Inzwischen hat der Künstler und Autor, der einst Claus Beck-Nielsen gewesen ist, die Kunstgruppe Das Beckwerk als Unternehmen begründet, dessen Geschäftsführer er ist. Doch was er zu tun hat, das trägt ihm der Vorstand auf. Zum Beispiel: Die Demokratie in den Irak einzuführen. „Mit europäischen Mitteln und nicht mit den amerikanischen, die ja militärisch sind“, gab der Beckwerk-Begründer zu Protokoll.

Bald wird aber auch das Beckwerk für Geschichte erklärt. Agent Nielsen ist in die Wüste geschickt worden, hier und jetzt in Europa ist Madame Nielsen.

Das ist kein Kunstprojekt, das ist das Leben

Die sehr dünne, in lange schöne Kleider gewandete Madame Nielsen gibt jetzt wieder Interviews. "This is not an art project; this is my life“, sagte Sufjan Stevens über sein letztes Album „Carrie & Lowell“ und die selbe Haltung trägt Madame Nielsen: „Von außen mag es aussehen wie eine Performance, für mich aber ist es das Leben.“

Wie sie dieses Leben begreift, breitet sich in „Der endlose Sommer“ aus wie das Flirren in der Luft an heißen Tagen. Es ist erstaunlich, wie berührend, wie realistisch und dann wieder schwärmerisch in dieser Geschichte das Dasein erfasst wird. Die Abenteuer, die Kunstaktionen wurden, nehmen nur wenige Zeilen ein. Groß ist die Liebe in „Der endlose Sommer“. Sie hält einen wach:

„Und hier, in diesem schlaflosen Dunkel, verschwimmen die Zeiten und Ereignisse ineinander, er ist gleichzeitig der scheue, schmale Junge, der sich durch das schlafende Haus vorantastet und die alte Frau, die Jahrzehnte später kraft ihrer Erzählung den „weißen Hof" als mythischen Ort aus all dem erschafft, was ein für alle Mal verloren ist“.

Viel zu schnell ist das Ende da. Doch im Herbst erscheint bereits der nächste Roman von Madame Nielsen: „The Mission“ will vom Reisen berichten.

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