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Yung Hurn

Radio FM4 / Franz Reiterer

FM4 Frequency Festival

Ein Fest der Affen

Der erste Tag beim Frequency Festival 2018 in Sankt Pölten ist geschlagen – mit vielen Raps, noch mehr Beats und so manchem Affentheater. Die Highlights: Gorillaz, Yung Hurn, Trettmann, Little Simz und Käptn Peng und die Tentakel von Delphi.

Von Florian Wörgötter

Das 18. FM4 Frequency Festival beginnt: Die New Yorker Sängerin Noname eröffnet gegen 15:20 Uhr die Greenstage mit sommerlichem R&B in Form von jazzigen Rhodes-Piano-Träumereien und Dilla-esken Schlagzeug-Grooves. Ihre zurückgelehnte Mischung aus vorsichtiger Rap-Poetry und einfarbigem R&B-Singsang garniert sie mit einem Lächeln. Zeit für einen Namen mit Namen! Noch ist der graue Plastikboden, der eines der Fußballfelder der Green Stage bedeckt, im Vorteil. Die 46.000 Festivalteilnehmer verstecken sich im Schatten.

Little Simz

Die Sonne steht hoch, die bunten Fischerhüte tief, wenn UK-Grime-Leichtgewicht Little Simz ihren Fünfuhr-Tee serviert. Beim Donauinselfest 2017 spielte die zarte Britin noch in „2 DJ-Controllers and a Mic“-Besetzung. Heute verstärkt sie eine Drillingsband mit Keyboarder und einem Drummer, der die zuckenden HiHat-Samples umspielt; der DJ demonstriert Geschichtsbewusstsein mit einer Collage ihrer Helden Notorious B.I.G., Missy Elliot und der zu früh verstorbenen Aaliyah.

Die sympathische Little Simz zeigt in ihrem vielfältigen Set zwischen Grime, Latino-Bouncer und funky Slowjam, dass sie ebenfalls zu den Großen aufsteigen kann und den vielen Vorschusslorbeeren von Kendrick Lamar und Jay-Z gerecht wird. Das Energiebündel weiß, wie sie aus dem Publikum seine 110 % herauskitzelt. Neues Material vom anstehenden dritten Album verstärkt diese Hoffnung – den Chorus von „Selfish“ („I’m so selfish“) kann die Generation Selfie auch beim ersten Hinhören auswendig mitsingen. Zeit für einen neuen Namen: Big Simz, die beste Rap-Künstlerin auf dieser Bühne heute.

Trettmann

Vor über zehn Jahren machte (RRR-RRR-Ronny) Trettmann noch (un)sexy Dancehall-Mugge im Sächsischen Dialekt. Heute rappt der Wahlberliner gepflegtes Hochdeutsch, von astreinem Autotune verzerrt, und setzt wolkigen Autotune-Rap auf schlanke, karibisch angehauchten Beats von Kitschkrieg. Erst letztes Jahr ist sein erstes Album „DIY“ erschienen, das bei Kritikern HipHop-Bestenlisten anführte.

Sein Konzert startet Trettmann in großer Poser-Pose, jedoch kann er mehr als nur pretenden. In „Grauer Beton“ fotografiert der Chemnitzer monochrome Jugendbilder aus der Betonwüste von DDR-Plattenbauten, als weiße Sneaker mehr kosteten als Millionen. In „Knöcheltief“ feiert er mit einem abwesenden 187-Gangster und Schwanschläger GZUZ seinen verdienten Aufstieg der letzten Jahre beim Baden in den West-Indies. Sogar ein Videodreh zu „Billie Holiday“ im bunten Jamaika endet in einem tristen Schwarzweißstreifen. Turnup-Versuche zünden weniger, aber der melancholisch-sonnige Grundvibe passt zur Uhrzeit.

Käptn Peng und die Tentakel von Delphi

Zum Einstieg gleich einen Kalauer der übelsten Sorte: „Unsere Wenigkeit heißen Tentakel von Delphi – und Sie herzlich willkommen.“ Auf seiner surrealen Suche nach dem Sinn und dem Sein gibt Käptn Peng aka Schauspieler Robert Gwisdek seinem Publikum erst mal einen selbstgewählten Namen: Freddy-Fräsnä – damit alle „erschienen und unerschienen Erscheinungen" nicht bloß – wie im Peng-Universum keineswegs unrealistisch – imaginierte Menschen-Tapete bleiben.

Frontmann Käptn Peng ist ein Troubadour des Wahnwitzes, ein Jongleur des guten und auch schlechten Wortspiels, der Gummimesser mit feinster Klinge wirft („Wir blieben jahrelang nackt wie Geschenke, nur in uns’ren Armen verpackt“). Barfuß und in Männerkleidern besingt er in absurden Parabeln die zum Scheitern verurteilte Liebe zwischen Fuchs und Einhorn. Er philosophiert in Überlänge mit einem schwarzen Socken über den Anfang des Anfangs und warum aus dem Nichts Nichts entstehen kann. Sein Fazit: Der Ursprung des Ursprungs des Ursprungs: ein weißer Socken?

Außerdem verschenkt er den Tipp, wie auf rechtspopulistische Festival-Wahlwerbung reagiert werden soll: mit einem Zungenkuss. Nächstenliebe zelebrieren auf die offensive Art - 40 Zungenküsse von behaarten Männern könnten den einen oder anderen ja vielleicht zum Nachdenken bringen.

Yung Hurn

Im letzten Jahr sprengte Yung Hurn beim FM4 Frequency beinahe die Weekender Halle. Heute hat er seinen bisher größten Auftritt in Österreich auf der Green Stage, die pünktlich zur Primetime-Dämmerung mit großflächigen Yung Hurn-Ultras-Visuals angestrahlt wird. Auch heute ist der Andrang immens. Ohne jede Aufforderung, einen Moshpit-Kreis zu bilden, schwappt einem das junge Publikum entgegen wie eine Flutwelle, gestoppt von einer weiteren Moshpit-Welle aus der anderen Richtung. Die kleinsten unter den Fans nehmen Reißaus und verlassen den springenden Bulk. Ihr Held Yung Hurn steht auf den Boxen und skandiert Hits wie „Bianco“ und „Opernsänger“; das Publikum grölt jeden einzelnen mit.

Begeisterung auch, als Yung Hurn ein Wolfgang-Ambros-T-Shirt trägt – und gleich auszieht. Damit setzt er ein Zeichen gegen die harsche Antwort aus FPÖ-Kreisen auf Ambros’ Regierungskritik. Und der gute alte Mittelfinger gegen die Exekutive („Fick die Polizei“) erweist sich nach wie vor als ein probates Mittel für kollektive Euphorie.

Yung Hurn beherrscht es in seiner Schreibe, Alltagsphrasen zu eingängigen Readymades hochzustilisieren („Ok Cool“) und sie dem Publikum in eingängiger Abzähl-Reim-Rhythmik einzupflanzen. Beim Konzert funktioniert dieses Spiel perfekt, wenn das Publikum unisono den Ohrwurm raunzt: „Yung Hurn, wieso machst du das? Wieso sagst du das? Wieso bist du so gemein?“. Seine Logik bezogen auf die Hausaufgaben in der Schule: „Warum lässt du mich nicht abschreiben? Du bist ja viel besser als ich“. Genau, warum eigentlich nicht. Willkommen im Lalalala-Land!

Die Antwoord

Die quietschbunte Dada-Rap-Rave-Formation Die Antwoord beweist danach auf der Space Stage einmal mehr, warum sie ein idealer Festival-Headliner ist. Gewaltig rollen die mitsingbaren Synth-Salven von DJ Hi-Tek über die Köpfe der Menschen, während MC Ninja mit schlackernden Armen, die Haut voll Knast-Tattoos, die Bühnenlänge Wortsalven speiend durchmisst. Seine langjährige Partnerin ¥o-Landi Vi$$er hüpft dazu wie ein aufgekratzer Gummiball von rechts nach links durch die dargestellten brennenden Townships, sie kiekst und singt als Über-Girlie gern gehörte Zeilen: „I am your Butterfly. I need your prrrotection, be my Samurai.“

Dass zwischen der behaupteten Zef-, „White Trash“-Mentalität von Die Antwoord und der privilegierten Herkunft ihrer Mitglieder aus der Kunstszene, first row-Plätze bei Alexander Wang inklusive, eine Diskrepanz besteht - geschenkt. Es knallt so gut. Wie so oft hat Philipp L’Heritier die richtigen Worte schon vor Jahren gefunden, als er über den letzten Besuch der Antwoord auf dem Frequency 2016 schrieb: Kostüme, Kunst, Knallen. Großraum-Rave, Jungle, Acid, Gabber und Bubblegum-Bestrafung. Pokemon-Verkleidung, Prodigy-Sample, Peniswitz. Der grelle, der geile Blödsinn. (Katharina Seidler)

Trailerpark

Die deutschen HipHop-Asis Trailerpark haben sich mit ihren Ab-18-Konzerten den Mythos der Konzert-Orgiasten gezimmert: Prostituierte, Penetration und Ekel-Cocktails inklusive; das Live-Video dazu erscheint auf YouPorn. Schon bei ihrem Jänner-Konzert im Wiener Gasometer wurden Fans aber enttäuscht von der braven Show. Auch beim FM4 Frequency muss die Fantasie die Bilder zum kackerlbraunen Scripted-Reality-Rap von Trailerpark drehen.

Alligatoah, Timi Hendrix und Sudden (wieder ohne Basti, dafür mit aufblasbarer Riesen-Rubensdame Horst-Uwe) machen sich über alles und jeden lustig, denn jeder habe das Recht auf Diskriminierung. Im besten Fall entwickelt sind ihre ironisierte Tabubrüche moralisch fruchtbar, etwa wenn sie fragen: Wollt ihr mit uns Schwänze lutschen? Um darauf in „Dicks sucken" mit Oralsex die Welt zu retten. Oder wenn sie in „Armut treibt Jugendliche in die Popmusik“ ihre finanziellen Motive offenlegen, warum sie einen Popschlager wie diesen schreiben. Beim ersten Mal kann das alles lustig sein, beim zweiten Mal verliert jede Provokation ihre Wirkung und entlarvt ihre Banalität. Doch die Hardcore-Fans kriegen davon auch heute nicht genug. „Prost ihr Säcke!“. „Prost du Sack!“.

Bastille

Gorillaz

Als die Gorillaz um die Jahrtausendwende als erste fiktive Cartoon-Band über die MTV-Bildschirme flimmerte, glich das einer Zukunftsvision möglicher Aufführungspraxis. Denn auch live standen die vier von Blur-Frontmann Damon Albarn und Tank Girl-Zeichner Jamie Hewlett erdachten Charaktere 2D, Murdoc Niccals, Noodle und Russel Hobbs im Vordergrund auf großen Projektionen. Die echten Musiker versteckten sich dahinter. Mittlerweile ist der Vorhang gefallen, die Rollen getauscht.

Im Zentrum ein durchaus motivierter Strippenzieher Damon Albarn, der experimentierfreudigste Veteran der 1990er-Britpop-Welle, dessen musikalische Neugier sich auch heute nicht vor dem Zeitgeist verschließt. Um sich schart Albarn ein 13-köpfiges Ensemble bestehend aus einem sechsfachen Gospelchor, einer gut geschmierten Zwei-Drummer-Rhythmusmaschine und einer Bassgewalt zwischen Funk, Rock, und Club. Angezerrte Gitarren verpassen der Show einen dominanten Schuss Rock.

Im Hintergrund streamen die virtuellen Bandmitglieder in vereinzelten Musikvideos über die Bühne. Albarn hat seinem Comic-Pendant, dem Sänger 2D, die Hauptrolle auf den Leib geschrieben. Murdoc Niccols flieht in einer Verfolgungsjagd vor Bruce Willis, der fiktive Drummer Russel Hobbs trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „No more Unicorns anymore“. Das eklektische Programm wird abgerundet durch Allstar-Teammembers wie HipHop’s Hippies De La Soul und The Pharcyde’s Bootie Brown sowie starken Gesangseinlagen von Peven Everett und Michelle Ndegwa. Little Simz, die ebenfalls mit den Gorillaz kollaboriert hat, hat sich leider schon in den Feierabend verabschiedet.

Das Finale endet mit einem gut gemeinten Deutschsprechversuch von Albarn, der Botschaft, dass Probieren alles ist, und dem Klassiker, mit dem alles begann, „Clint Eastwood“. Der Rest der Party feiert feiert weiter im Nightpark, geht auf den Zeltplatz oder verabschiedet sich von einem starken ersten Tag.

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