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Buchcover: Der Umfall

Mikael Ross/Avant Verlag

Comic

Mikael Ross: Der Umfall

Neuerkerode ist eine Ortschaft in Niedersachsen, die vor 150 Jahren gegründet wurde. Das Besondere: Die meisten BewohnerInnen sind geistig beeinträchtigt. Zum Jubiläum dieser Pflegeeinrichtung wurde statt einer Festschrift eine Graphic Novel herausgegeben. Ein Glücksfall!

von Zita Bereuter

Man fährt durch ausgestorbene Dörfer, durch „leergefegtes Niedersachsen“ und kommt dann nach Neuerkerode. Dörflicher Charakter und doch eine andere Welt. „Riesige uralte Bäume, Pfauen sind unterwegs. Es gibt ein Vogelgehege und ein Kanienchengehege. Alles recht idyllilsch.“ schwärmt Mikael Ross. Was den Ort aber ausmacht, sind die Bewohnerinnen. Die meisten von ihnen sind geistig beeinträchtigt.

Neuerkerode

Mikael Ross/Avant Verlag

Wenn man auf dem Dorfplatz aussteigt, trifft man erst mal 40 bis 50 Leute, die unterwegs sind, erzählt Mikael Ross. „Und nach einem Tag kennst du das halbe Dorf."
In Neuerkerode lernt man sich schnell kennen. Die Leute sind sehr offen und interessiert und fragen direkt: "Wer bist du? Wie heißt du? Was machst du hier? Hast du eine Freundin? Willst du mal meine Wohnung sehen?“

Mikael Ross lacht. Diese Offenheit hat ihn erst mal überwältigt. Das ist er aus Berlin nicht gewohnt. „Ich hab so ziemlich lang in meinem Leben das Gefühl vor mir hergetragen, inadäquat zu sein.“ Das Gefühl, nicht so funktionell wie andere zu sein und Sachen nicht so gut zu können wie andere, hat ihn oft belastet. „Und dann an einen Ort zu kommen, wo das überhaupt kein Problem ist. Ich hab mich dort sofort sehr aufgenommen gefühlt.“

Auch die BewohnerInnen haben schnell Vertrauen zu Mikael Ross gewonnen, sich zu ihm gesetzt oder ihn eingeladen und ihm ihre Geschichten erzählt.
Aus all diesen hat er die Graphic Novel „Der Umfall“ entwickelt.

Der Protagonist Noel hat eine geistige Behinderung und lebt mit seiner Mutter, in der Stadt. Nach einem Schlaganfall fällt die Mutter um – daher der Titel „Der Umfall“ – und ins Koma.

Noel wird nach Neuerkerode gebracht und muss erstmals mit fremden Menschen zusammenleben.
In Neuerkerode fällt er in das pure aktive Leben: Leute kennenlernen, Liebe, Neid, Eifersucht, Vertrauen, Enttäuschungen, Vergessen und der Tod, hier gibt es zwischen dem Dorfgemeinschaftshaus, der Dorfdisko, dem Judotraining und der Werkstatt alles, was der normale Alltag bringt oder nimmt.

Cover "Der Umfall"

Mikael Ross/Avant Verlag

Mikael Ross: Der Umfall, Avant Verlag 2018

Stiftung Neuerkerode

Leseprobe von „Der Umfall“

Es ist erstaunlich, wie gern man umgehend in diesem Dorf ist und wie unterhaltsam und witzig die Geschichte immer wieder ist. Aber Neuerkerode ist nicht nur ein heller Ort. „Da gibt es auch Leute, die man nicht leiden kann. Da gibt es auch Leute, mit denen man nicht klar kommt. Da ist nicht alles Zuckerwatte."
Schon gar nicht, wenn man an die Vergangenheit denkt - im
2. Weltkrieg gab es es auch hier Deportationen.

Mikael Ross ist das Besondere geglückt: Er macht aus einer Festschrift einer karitativen Stiftung für Menschen mit Behinderungen einen überraschenden und
gelungenen, vor allem aber auch authentischen Comic. So baut er Neuerkerode ein außergewöhnliches Denkmal mit den Geschichten der Bewohnerinnen.
Ein Denkmal, das man nicht so schnell vergisst.

Er hat in Neuerkerode außerdem eines gelernt: "Ein Stück weit sich selber mehr annehmen wie man ist und nicht immer mit sich selbst rummäkeln. Wenn die Leute in Neuerekerode sich selbt annehmen können, dann kann ich mich vielleicht auch selbst annehmen und muss nicht immer so hart mit mir umgehen.“

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