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Marc Carnal

Neue Splaining-Subgenres

IT-Beauftragte, die ihre Kollegen mit Fachausdrücken demütigen, Ernährungsbewusste, die ungefragt über ihren Darm referieren oder Hostel-Besitzer, die Gästen trotz Jetlag stundenlange Tripadvisor-Vorträge halten: Diese Splaining-Begriffe sollten dringend eingeführt werden.

Von Marc Carnal

Was man unter „Mansplaining“ versteht, ist mittlerweile allgemein bekannt. Eigentlich ist es verblüffend, dass es so lange gedauert hat, einen Begriff für ein seit Jahrtausenden global etabliertes Männerverhalten zu finden. Nachdem weltweit tausende Wörter für Schnee oder Liebe existieren und immerhin ein finnisches Wort das Gefühl bezeichnet, sich alleine zu Hause in Unterhosen zu betrinken (Kalsarikännit), muss es auch eines geben, das Typen beschreibt, die Sackbesitz mit Kompetenz verwechseln.

An “Mansplaining” gibt es eigentlich nichts zu kritisieren. Auch nicht, dass es sich um einen Anglizismus handelt, wenn man sich die eher furchtbare deutsche Alternative “Herrklären” vor Augen führt. Nein, “Mansplaining” ist ein Top-Wort. Sollte aber nicht die einzige Splaining-Spielart bleiben, die mit einem prägnanten Begriff versehen unseren Wortschatz bereichert:

ITsplaining

Der ITsplainer ist in einer Firma angestellt und sitzt dort in einem Kammerl ohne Tageslicht. Das verlässt er nur, wenn man ihn über seine Durchwahl anruft und beklagt, dass „der Computer spinnt“.

In diesem Moment hat man bereits verloren und wird genüsslich zum begriffsstutzigen Volltrottel degradiert. „Ist die Master Boot Record intakt?“, fragt der ITsplainer scheinbar beiläufig. Natürlich ist man ratlos. Erster Punktgewinn am anderen Ende der Leitung, doch die Erniedrigung hat erst begonnen: „Kann es sein, dass du etwas an der Windows Registry Entry verändert hast? Was du noch probieren könntest: Vorsichtshalber mal pagefile.sys und Hyber-V leeren und dann noch schauen, ob die Jumper an der Masterdisk richtig gesteckt sind. Wenn du weißt, wie das geht.“

Beschämt fleht man ihn an, sich vor Ort um die defekte Technik zu kümmern. Natürlich ist es insgeheim ein Kinderspiel, den Computer zu reparieren. Doch das Selbstvertrauen des ITsplainers speist sich nur aus der Erniedrigung all der dummen Laien rings um ihn, und zwar in Form entsetzlich fachspezifischer Monologe und ausführlichen Tadels. Dass sich die meisten einfach nicht dafür interessieren, wie genau Drucker, Grafikkarten oder Netzwerke funktionieren, ist dem ITsplainer unverständlich und willkommen zugleich. So verachtet er uns Ahnungslosen zwar, schätzt sich aber auch glücklich, pausen- und endlos mit Fachwissen um sich spamen zu dürfen.

Drugsplaining

Der Begriff „Drunksplaining“ hat sich zwar noch nicht durchgesetzt, wurde aber immerhin schon ins Urban Dictionary aufgenommen und bezeichnet Nonstop-Monologe von Betrunkenen. Damit nicht ganz unverwandt ist die eine mögliche Bedeutung von Drugsplaining, nämlich das ausführliche Plauderbedürfnis, das manche Junkies dazu veranlasst, sich “dazuzusetzen” und ungefragt loszulabern.

Vor allem aber ist damit die Vorliebe vieler Drogenabhängiger - allen voran Kiffer - gemeint, in geistesgegenwärtiger Verfassung über die Vorzüge ihrer Lieblingsdroge zu referieren, ihre eigene Sucht verdächtig ausführlich abzustreiten und auf jegliche Einwände belustigt bis wütend zu reagieren. Immer kennen sie irgendeine Studie aus den USA, die angeblich belegt, wie schlau man von Gras wird, immer zählen sie hunderte Künstler auf, die sich Zeit ihres Lebens von Drogen ernährt haben, immer ist Alkohol in Wahrheit viel schlimmer, immer ist alles eine große Polizeiverschwörung. Und immer muss man sich das Drugsplaining von vorn bis hinten anhören.

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#wisewords #quotes

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Conspiracysplaining

Wer davon überzeugt ist, dass die Pyramiden von Gizeh von unterirdisch lebenden Lichtwesen erbaut wurden, dass die Illuminati uns mit dem Masernimpfstoff in die Fänge von Aliens treiben wollen oder dass Michael Ludwig ein Reptiloid ist, hält mit seinen konspirativen Ansichten selten hinterm Berg und behelligt seine Opfer ungebeten mit dem größten Unfug, ohne Widerworte zu dulden.

Hostsplaining

Ein Urlaubsklassiker: Man hat einen dreißigstündigen Gabelflug hinter sich und freut sich mit steifem Genick und schweren Lidern wie narrisch auf eine erfrischende Dusche in der kleinen, zentrumsnahen Pension (“Lage besonders beliebt bei Paaren!”), die in Rezensionen als “familiär geführt” beschrieben wurde. „Familiär geführt“ bedeutet halt leider, dass man bei der Ankunft zuerst ein landestypisches Heißgetränk ausgehändigt bekommt, dann ein (immer absurd klein gedrucktes) Sinnlos-Formular auszufüllen hat und schließlich ein mehrstündiges Referat des Hoteliers in brüchigem Schnecken-Englisch über sämtliche Sehenswürdigkeiten und Restaurants der Stadt über sich ergehen lassen muss, welche er allesamt mit Kugelschreiberkreuzen auf einem selbstgemachten Stadtplan einzeichnet.

Man ist natürlich höflich, nickt die ganze Zeit und sagt “Ah! Interesting” und “Great, thank you, yes, we’ll go there”, und er HÖRT NICHT AUF und leiert weiter seine Tripadvisor-”Geheimtipps” runter. Weil man es sich aber nicht verscherzen will, erduldet man das Hostsplaining, um dann in den folgenden Tagen all seine Tipps genüsslich zu ignorieren.

Dogsplaining

Verallgemeinerungen liegen mir fremd, aber: ALLE Hundebesitzer wissen noch besser als alle anderen Hundebesitzer, wie man Hunde korrekt erzieht, dressiert, ernährt, belohnt und pflegt. Und die meisten teilen ihr Fachwissen bei jeder Gelegenheit mit anderen Hundehaltern, ohne dabei besonders sensibel für die Grenzen der Bevormundung zu sein. Rügen sie ausnahmsweise nicht andere, erzählen sie eben ungehemmt von Stammbaum, Fähigkeiten und Erfolgen des eigenen Viehs.

Grammarsplaining

Wenn jemand im Standard-Forum kritische Worte über die Österreichische Bundesregierung verliert und als Antwort ein anonymer Deutschlehrer die maximale Postinglänge für seinen Tadel über die Großschreibung von “Österreichisch” ausreizt, ist das Grammarsplaining. Die 136 Google-Ergebnisse für diesen Begriff beweisen zwar, dass ich ihn nicht erfunden habe. Durchgesetzt hat er sich aber seltsamerweise auch nicht, obwohl Grammarsplaining exakt gleich alt ist wie das Internet.

Foodsplaining

Eine Splaining-Disziplin, in der ausnahmsweise Frauen überrepräsentiert sind. Kaum ein Menschenschlag neigt zu derart ausufernden Zwangsvorträgen wie Kolporteure von “Ernährungslügen”, Kalorienzähler, Veganer oder überzeugte Allergiker. Wer genug Zeit hat, sich ohne Unterlass über seine Ernährung und deren Verdauung Gedanken zu machen, stiehlt sie auch gerne anderen mit Belehrungen über dreißigmaliges Kauen, nachhaltigen Nussimport, Lowcarb-Trends, Fleischverzicht und Stuhlkonsistenz.

Von Leuten, die sich besonders ungesund ernähren, wird man dagegen selten ohne Aufforderung zugequatscht. “Ich ess ja fast nur noch bei Burger King, mir schmecken Gemüsesuppen ja überhaupt nicht mehr, seit ich konsequent darauf verzichte! Und die Kinder bekommen schon zum Frühstück Pringles und Cola! Die quängeln gar nicht mehr, wenn wir bei der Obstabteilung vorbeikommen, weil ihnen das gesunde Zeug gar nicht mehr schmeckt! Also meine Verdauung ist wirklich viiiiel schlechter geworden, seid ich nur noch unzerkautes Fast Food fresse!”

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Kritische Kunst

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