FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Braveheart Still

Paramount Pictures

Das erste Mal: „Braveheart“

Wie sagt man im Internet? „Ich habe mich durch 3 Stunden Braveheart gequält, damit ihr es nicht tun müsst.“ Als käme irgendwer heutzutage noch auf die Idee, sich überhaupt irgendwas mit dem Hollywood-Aussätzigen Mel Gibson anzusehen. Also ja, Mel did take my freedom, jedenfalls für drei Stunden.

Von Jenny Blochberger

Es sei erwähnt: Folgender Text enthält Spoiler für diesen fast 25 Jahre alten Film.

Es beginnt mit dreckverschmierten Gesichtern im schottischen Hochland: Vater und Bruder des kleinen William Wallace kommen von Verhandlungen mit den Engländern nicht mehr lebend zurück, dafür drückt die kleine Murron noch schnell eine Distel in Williams Hand, bevor sein weltgewandter Onkel ihn mitnimmt, um ihm Rom zu zeigen und Französisch beizubringen. Jahre später kommt Wallace zurück (wundersamerweise um mindestens ein Jahrzehnt mehr gealtert als seine Jugendliebe Murron), um sich im Dorf seiner Kindheit häuslich niederzulassen und eine Familie zu gründen.

Braveheart Still

Paramount Pictures

They can take our lives, but they can’t take our freedom!

Alas, die bösen Engländer lassen die guten Schotten nicht in Frieden leben, die Jugendliebe wird gemeuchelt und der bis dahin unpolitische William findet irgendwo einen Topf mit blauer Farbe und macht fortan in Kriegsbemalung und mit ein paar Getreuen Jagd auf die praktischerweise erkennbar orange uniformierten Engländer.

Der englische König Edward Longshanks hat eigentlich gerade alle Hände voll zu tun mit Frankreich und überlässt die paar Unruhe stiftenden Schotten seinem Sohn, der prompt die wichtige englische Stadt York an Wallace verliert. Weil sogar eine Frau das wohl besser hinkriegt als der schwächliche Sohn, schickt Edward also Schwiegertochter Isabella von Frankreich (Sophie Marceau) zu Verhandlungen mit dem Rebellenführer. Von ihrem Ehemann zugunsten seines Geliebten ignoriert, schmilzt die junge Frau angesichts von Wallaces Männlichkeit und seiner tragischen Liebesgeschichte umgehend dahin.

In der FM4 Sommerserie „Das erste Mal“ stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Wiederholt warnt sie ihn vor den Fallen der Engländer und macht als Verbündete somit einen besseren Job als der schottische Adelige Robert the Bruce, der eigentlich dazu prädestiniert wäre, die Clans unter sich zu einen und den Engländern damit einen ernstzunehmen Gegner zu präsentieren. Aber Robert the Bruce ist innerlich zerrissen und schafft es fast den ganzen Film lang nicht, sich für das Offensichtliche zu entscheiden. Erst muss Wallace auf dem Scharfrichterblock nach grausamer Tortur sein Leben aushauchen. Das letzte Wort, das er in äußerster Todesverachtung röhrt, spricht auch mir nach drei langen Stunden aus der Seele: FREEDOM!

Braveheart Still

Paramount Pictures

Freedom’s just another word for nothing left to lose

Braveheart hat mehrere Oscars gewonnen, darunter die in den Hauptkategorien Bester Film und Beste Regie. Aber kommen wir zu den wirklich wichtigen Details: Welche gelangweilte Maskenbildnerin hat den Schauspielern an die 90er-Jahre-Frisuren einfach ein Haarteil hinten angetackert und sie mit einem „passt scho“ aufs Set geschickt? Dass „Braveheart“ keinen gesteigerten Wert auf historische Akkuratesse legt, gesteht Gibson ja freimütig ein, aber selbst der adelige Robert the Bruce hatte im Jahre 1290 keinen Föhn zur Verfügung.

Was ich aber „Braveheart“ wirklich vorwerfe, sind gar nicht mal so die lahmen Klischees (die dummen Engländer greifen Wallace brav einer nach dem anderen an, schöne Menschen sind prinzipiell gut, nicht der Norm entsprechende zumindest zwielichtig und die Dudelsackmusik ist geradezu gesundheitsgefährdend), sondern seine platte Vorhersehbarkeit verbunden mit einem eklatanten Mangel an Humor und Nuanciertheit.

Viele von diesen epischen Schinken werden ja erst durch einen genial-perfiden Gegenspieler erträglich - man denke an Alan Rickmans völlig durchgeknallten Sheriff von Nottingham, der einsame Lichtblick in Kevin Costners drögem „Robin Hood“. „Braveheart“ hat nur den schurkischen König, der als Bösewicht nicht genug Charisma besitzt, und einen Haufen unsympathische Nebencharaktere (die zerstrittenen schottischen Clanchefs und die cartoonesk-bösen englischen Soldaten). Aus der ambivalenten Figur des Robert the Bruce hätte man durchaus mehr machen können, denn der ist eigentlich die wesentlich interessantere Persönlichkeit als der doch sehr einfach gestrickte William Wallace.

Nebenbemerkung: Den halben Film lang warte ich auf Tim Roth, weil ich mir eingebildet hatte, der gäbe den eigentlichen Bösewicht. Ich bin bitter enttäuscht, als mir einfällt, dass der in einem anderen Film damit beschäftigt ist, einem anderen schottischen Nationalhelden, nämlich Rob Roy, das Leben zur Hölle zu machen.

Die Bilder sind beeindruckend, die rohe Gewalt der Kampfszenen und die Inszenierung des Freiheitskampfes mitreißend. Weniger überzeugend ist „Braveheart“, wenn es um Szenen geht, in denen weder Schwerter noch Reden geschwungen werden – da stiefeln dann kostümierte Statisten in der Landschaft herum wie lustlose Rollenspieler und in jeder Dorfszene werden planlos Körbe quer durchs Bild getragen.

Freuen wir uns jedenfalls, dass Figuren wie die schmachtende Prinzessin Isabella und der weibische (read: homosexuelle) Prinz Edward II heute in der Form wohl nicht mehr möglich wären. Zu Recht gab es bereits damals Proteste von LGBT-Organisationen gegen die ärgerlich klischeehafte Darstellung des Prinzen und speziell gegen die Szene, in der der König den Geliebten seines Sohnes aus dem Fenster wirft.

Braveheart Still

Paramount Pictures

Aye or Nay

Nay: Der schlimmste Cringe-Moment ist, wenn Wallace Prinzessin Isabella fragt, warum sie ihm hilft, und sie errötend haucht: „Because of the way you’re looking at me now.“ Emotion, dein Name ist Weib! Was ist schon der schottische Freiheitskampf gegen Mel Gibsons blaue Augen?

Aye: Die Tatsache, dass Gibson mit fast 40 deutlich zu alt für die Rolle ist (was dazu führt, dass die maximal fünf Jahre Altersunterschied zwischen den Kindern William und Murron zu einem unerklärlichen 15-Jahre-Unterschied zwischen ihnen als Erwachsenen werden) ist dem Vernehmen nach weniger seiner Eitelkeit zu verdanken als dem Umstand, dass die Produktionsfirma den Film nur freigeben wollte, wenn er als Star die Hauptrolle übernimmt.

Nay: Wer möchte, kann hier genauer nachlesen, inwiefern „Braveheart“ gegen historische Fakten verstößt.

Aye: Und wer Angus Macfadyen als Robert the Bruce wiedersehen will, für den oder die wurde extra heuer ein neuer Film gedreht.

Aktuell: