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APA/dpa/Bernd von Jutrczenka

Blumenaus 20er-Journal

Benennen heißt Erkennen

Die Lehren aus der Krise rund um den Dammbruch von Thüringen.

Von Martin Blumenau

Der sogenannte Dammbruch von Thüringen hatte in Deutschland den Rücktritt einer Parteivorsitzenden, den Fast-Rücktritt eines Parteichefs und das Ende der Lähmung im Umgang mit der extremen politischen Rechten des Landes zur Folge. Und das, weil im Rahmen einer strategisch armselig ausgespielten Provinz-Posse eine von einem Faschisten geführte Fraktion einen Kandidaten einer Mini-Partei zum Ministerpräsident gewählt hatte, um das politische System zu destabilisieren. Und weil (nach einer Schrecksekunde) die entsprechende Antwort nötig war.

Was ist da passiert? Legen wir die Fakten einmal für Österreich um. Das hieße: Bei der Burgenland-Wahl kommt es zu einem politischen Patt; die KPÖ, die bis dorthin den (populären) Landeshauptmann stellte (in einer Koalition mit SPÖ und Grünen) kriegt ein Drittel der Stimmen, die FPÖ fast ein Viertel, die ÖVP 20, die SPÖ 8 und die Grünen 5 Prozent. Neos kommen überhaupt nur mit einem Überhang von 72 Stimmen in den Landtag. Weil sich die VP drauf festgelegt hat, keine der beiden extremen Kräfte (KP und F) unterstützen zu wollen, geht nichts weiter. Im dritten Wahlgang nützt die FPÖ das Momentum und wählt den von der VP unterstützten Neos-Kandidaten zum LH, daraufhin bricht Chaos aus. In der Folge wackelt Meinl-Reisinger, die vorschnell ihrem Lokal-Politiker gratuliert hatte und später tritt Kurz zurück, weil der regionale VP-Chef seine Anweisung missachtet hatte. Weil vor allem VP und Neos in Umfragen (wegen ihrer Koop mit der FP) stark abgesackt sind, haben sie kein Interesse an Neuwahlen - es wird also weiter taktiert.

Ein völlig unvorstellbares Szenario, und doch exakt das, was in den jeweiligen Schwester-Parteien (wenn man die Linke mit der KP Steiermark in Vergleich zieht, geht sich auch das irgendwie aus) im Norden passiert ist.

Nun mag man argumentieren, dass die nationalistischen Parteien AfD und FPÖ eklatant unterschiedlich alt sind und es deshalb eine größere Gewöhnung an die Freiheitlichen (die zudem auch schon einmal Teil der liberalen Internationale waren) gibt. Was ihre Positionen betrifft, marschieren AfD und FPÖ aber im Gleichschritt.

Was ist also in Deutschland so gravierend anders als in Österreich, dass schon eine Duldung (die bestenfalls die Vorstufe der Zusammenarbeit sein kann) schon derartige Wogen schlägt und Abwehr-Reaktionen nach sich zieht, deren Wucht an die der weißen Blutkörperchen im Kinderbuch erinnert.

Es gibt mehrere Faktoren - ein ganz zentraler ist aber die klare Benennung. In Deutschland sagt man, was Sache ist, in Österreich wird vorauseilend geschwurbelt, weil man einander ja noch brauchen könnte/nicht wehtun mag/konsenssüchtig bis zur Selbstaufgabe ist.

Zugegeben: Der AfD-Chef in Thüringen (von wo aus übrigens die NSDAP ihren Vernichtungszug gegen die liberale Demokratie begann) macht es allen recht leicht. Man darf Björn Höcke (nach einem entsprechenden Gerichtsurteil) einen „Faschisten“ nennen.

In der Anleitung Faschist werden sagt Michela Murgia über den Faschismus: „Er befreie die einzelnen von den Zumutungen der Freiheit, die Macht von zeitraubenden demokratischen Kompromissen und liefert bequeme Feindbilder.“

Marcus Söder von der CSU, neben der - so ihr einstiger Übervater) rechts kein Platz sein darf - definiert Höckes Flügel als Verfassungsfeinde. Und nicht nur seine regionalen Gegner wie der später mit ihm (absichtlich oder nicht) paktierende CDU-Mann Mohring, sondern auch der Generalsekretär Ziemiack nennen ihn öffentlich und deutlich einen Nazi. Sahra Wagenknecht von der Linken erklärte gestern bei Anne Will auch gleich, auf welcher Basis das argumentierbar ist, wobei es da natürlich auch die ebenso durchdachte Gegenposition gibt.

In jedem Fall ist davon die Rede, wie notwendig es ist, der Gewöhnung an den Rechtsextremismus entgegenzutreten. Und diese Abgrenzung wird so hart, scharf und präzise vorgenommen, dass einem als gelernter Österreicher ganz schwindelig wird.

Zurück nach Österreich. Dieser Tage erschien in der New York Times, der besten Tageszeitung der Welt, ein Porträt der neuen Justizministerin, für das die Leiterin des Berliner Büros der NYT sich nach Wien begeben hatte. Und wieder einmal bin ich verblüfft, wie direkt die FPÖ in den US-Medien klipp und klar als far-right beschrieben wird (wie es im Übrigen auch die BBC oder die FM4-News-Kolleg*innen seit jeher machen), als (per definitionem) extrem nationalistische Partei mit einer nativistischen Ideologie und Hang zu Autoritärem (Stichworte: Putin, Visegrad).

Weiters nennt der Text die Migrations-Politik der Kurz-ÖVP hard-right, also stramm rechts und nennt den Pakt der Grünen mit der VP „Faustian“, also „faustisch“ - und jene, die im Deutsch-Unterricht noch Literatur gelesen haben, wissen vielleicht noch, mit wem der Dr. Faustus seinen Pakt schließt.

Genau wie die deutsche Politik benennen die amerikanischen Medien die politische Realität anstatt dem Spin der Bewerber zu folgen und helfen damit zu erkennen. In Österreich funktioniert das aber nicht: Hier steht eine konservative (also per se rechte) Partei mit einer stramm-rechten Migrations-Politik in der Mitte des politischen Spektrums; und zwar, weil sie’s behauptet. Inhaltlich lässt sich das durch nichts belegen, aber egal. Und unwidersprochen, weil sich ein Teil der Medien fürchtet (Geldhahn), es einem Teil gut ins ideologische Konzept passt und ein dritter Teil (der Boulevard) damit Spaltung und so Kasse macht. Zudem fehlt es an einem zivilgesellschaftlichen Diskurs, der zwischen allen demokratischen Kräften inklusive den gemäßigten Rechten gemeinsam geführt wird - auch hier kochen alle eigene Süppchen.

So bleibt es beim Verschleiern und Antäuschen. Und bei erstaunt-beleidigten Gesichtern, wenn Einzelfälle oder absurde historische Berichte auftauchen oder die internationale Staatengemeinschaft Österreich ganz anders (nämlich realistischer) sieht, als es sich selber. Und liefert so neue „bequeme Feindbilder“ - siehe oben.

PS: Siehe dazu auch Mitte-Rechts, Rechts-Mitte sowie Die Versuchs-Station der Weltrettung.

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