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Joe Exotic in Tiger King

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Serie

„Tiger King“: Der Wahnsinn hat einen Namen

Die 7-teilige Dokuserie „Tiger King: Murder, Mayhem and Madness“ zeigt amerikanische Großkatzenzüchter*innen und ihre Gegenspieler*innen. Das Ergebnis ist ein gigantisches Feuerwerk der Absurditäten. Einen Platz in der Popkultur haben sich die Doku und ihre Protagonist*innen hart verdient.

Von Philipp Emberger

Vorneweg: Ich bin großer Fan von Dokumentationen. Dabei haben es mir vor allem zwei Genres angetan: True Crime und Natur- bzw. Tierdokus. Als ich von „Tiger King“ (auf Deutsch: Großkatzen und ihre Raubtiere) gelesen habe, hat sich bei mir instant heftige Vorfreude eingestellt. Nach dem Ansehen der 7-teiligen Dokuserie muss ich zugeben: Auf DAS war ich nicht vorbereitet. Es ist nahezu unmöglich, den Wahnsinn und alle Wendungen in dieser Geschichte wiederzugeben.

Joe Exotic

Die Dokuserie lässt einen von der ersten bis zur letzten Sekunde den Mund vor Verwunderung offenstehen. Der Grund dafür: Joe Exotic, ein Country singender, Vokuhila tragender, wahnsinniger Waffennarr und homosexueller Polygamist. Jedes dieser – für sich schon sehr interessanten - Themen wird dann auch in den Folgen angesprochen und beleuchtet. Keines dieser Themen ist aber der Hauptgrund, wieso Joe Exotic in dieser Dokumentation vorkommt. Denn zum Großteil dreht sich die Dokumentation um Joe Exotics berufliche Ausrichtung: Er züchtet Großkatzen und war Besitzer eines „Zoos“ im US-Bundesstaat Oklahoma. Zoo ist allerdings als Selbstbezeichnung zu verstehen. Mit einem tiergerecht geführten zoologischen Garten hat diese Einrichtung nichts zu tun.

Joe Exotic mit Voki in Tiger King

Netflix

Zu seiner Sammlung gehören Tiger, Löwen, Leoparden und sämtliche Hybride dazwischen. Darüber hinaus gibt es aber auch andere Tiere zu sehen: Affen, Wölfe, Bären und viele mehr. All diese Tiere hat er für seinen persönlichen Profit gezüchtet und um sie in absurden Tiershows den Tierpark-Besucher*innen näher zu bringen. Gegen entsprechenden Aufpreis konnten die Besucher*innen mit Tigerbabys kuscheln. Erinnerungsfoto für die eigene Großmutter inklusive.

Manege des Wahnsinns

In „Tiger King“ werden nicht nur katastrophal gehaltene Tiere gezeigt, sondern auch Weggefährt*innen und Gegenspieler*innen (manche dürfen auch als Beides bezeichnet werden) von Joe Exotic werden porträtiert. Zu sehen ist etwa ein anderer Wildtierzüchter, der sich selbst als „Doc Antle“ bezeichnet. Er hat einen regelrechten Personenkult um sich aufgebaut und bindet sektenartig seine Mitarbeiter*innen an sich. Doc Antles Beziehungen gehen dabei bis in höchste Promikreise: 2001 stand er bei den VMAs mit unserem Jugendidol Britney Spears auf der Bühne bei einem legendären Auftritt.

Die Dokumentation bemüht sich, alle Persönlichkeitsschichten von Joe Exotic zu filetieren und in die Folgen zu packen. Bei einer derartigen Person ist das nicht die einfachste Aufgabe. So sehen wir Joe Exotic dann also mit Waffen hantieren, wir sehen wie er seinen Konkurrent*innen Pakete mit Schlangen schickt, wir sehen Joe Exotic mit seinen zwei Ehemännern (hier versteckt sich auch eine schöne Wendung!) und wir sehen ihn, leider sehr häufig, als Countrysänger. In seinen Songs verarbeitet er seine eigene Persönlichkeit, seine Tiere und sämtliche sozialen Konflikte, in die er sich im Laufe seines Schaffens verstrickt hat.

Joe Exotic in einem Musikvideo, Tiger King

Netflix

Gebietet irgendwer Joe Exotic Einhalt?

Dann folgt der Auftritt der Heldin in der Dokumentation, die unsere Herzen zum Hüpfen bringen wird und sich gegen Joe Exotic mit seinen tierquälerischen Machenschaften stellt: Carole Baskin ist Besitzerin der Non-Profit-Organisation Big Cat Rescue. Die Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, exotische Tiere zu retten, sowie den privaten Besitz von exotischen Tieren per Gesetz zu verbieten.

Als sie zum ersten Mal in der Dokumentation vorkommt, denkt man sich als Zuseher*in: Endlich eine normale Person. Eine Person, die mit einem Wertekompass ausgestattet ist und zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann. Eine Frau, die sich für die gute Sache einsetzt. Endlich eine integre Identifikationsfigur! Nur um dann enttäuscht festzustellen, dass sie einen ebenso windschiefen Charakter besitzt wie alle anderen Protagonist*innen.

Carole Baskin in Tiger King

Netflix

Das ist auch eine der schockierendsten und forderndsten Tatsachen in der Dokumentation: Keine einzige Person dient als moralisch korrekte Identifikationsfigur. Von Joe Exotic abwärts bis zu den Angestellten im Zoo hat keine handelnde Person sich durch großartige Reflexionsfähigkeit ausgezeichnet.

Im Laufe der Jahre hat sich zwischen Joe Exotic und Carole Baskin eine regelrechte Fehde entwickelt. Zahlreiche Weggefährt*innen der Beiden erzählen, wie sehr sich die beiden hassen. Im Vergleich zur Fehde von Joe Exotic und Carole Baskin ist der Streit von Taylor Swift und Kanye West lächerlich. Jede Staffel „RuPaul’s Drag Race“ gleicht einem harmonischen Beisammensein. Es wäre nicht so, als würde man sich als Zuseher*in nicht ständig fragen: „Wie kann das alles erlaubt sein?“ Gegen Ende biegt die Dokuserie dann aber endgültig in die True-Crime-Richtung ab. Joe Exotic wird angeklagt. Er soll versucht haben, mit Hilfe eines Auftragsmörders eine seiner schärfsten Konkurrentinnen, eben Carole Baskin, zu töten.

Zwischenzeitlich 227 Tiger soll Joe Exotic besessen haben. Länger ist nur die Liste der Dinge, worum es in der Miniserie geht: Größenwahn, Waffenbesitz, Drogenmissbrauch, Geldschmuggel oder Sektenkult, um nur einige wenige davon zu nennen. All diesen Themen kann die Dokumentation natürlich nicht umfassend gerecht werden. Muss sie auch nicht. Die Doku schildert Missstände in einem größeren Zusammenhang. Die Regisseure Eric Goode und Rebecca Chaiklin liefern mit der Doku eine pure Schocktherapie. Das ist simpel, aber verdammt effektiv.

Popkultur-Phänomen

Ein exzentrischer Mann mit einer Liebe für Großkatzen und einem Hang zu extravaganten Frisuren und jungen Männern ist eine Goldgrube für alle Popkultur-Fanatiker*innen. So ehrlich müssen wir sein: Joe Exotic wird seinen Platz in der Popkultur finden.

Für alle Hobby-Meme-Produzent*innen ist „Tiger King“ ein riesengroßer Glücksfall. Wenig verwunderlich also, dass seit Veröffentlichung der Dokumentation auf Netflix zahlreiche Memes ihren Weg ins Internet und in unsere Herzen gefunden haben. Für alle, die jetzt noch nicht überzeugt sind, sich dieses Schmuckstück an Wahnsinn anzusehen, folgt eine Auswahl der besten Memes. Und um ehrlich zu sein: Es ist auch der einzige Weg, diesen ganzen Wahnsinn irgendwie zu verarbeiten.

Während der #Coronalation haben auch zahlreiche Promis eine Einheit mit ihrem Sofa gebildet und „Tiger King“ gebingt: Kim Kardashian, Cardi B und auch Jared Leto, der unter dem Hashtag #JaredLetoCinemaClub seine Analyse zur Dokuserie auf Twitter abgegeben hat. Styletechnisch ist Jared Leto zumindest schon sehr nah dran an Joe Exotic. Allerdings würde ihm für eine etwaige Verfilmung auch die Rolle von Carole Baskin gut stehen (Stichwort: Dallas Buyers Club).

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In einer kommenden fiktiven Verarbeitung des Stoffes ist zumindest die Rolle der Carole Baskin schon vergeben. Kate McKinnon, bekannt aus Saturday Night Live, hat für die Rolle unterschrieben. Die Serie beruht auf dem Podcast „Joe Exotic: Tiger King“ und ist bereits seit vergangenem Jahr in Planung. Welch Glücksfall für uns, der Wahnsinn geht also weiter.

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