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Screenshot aus "Play Misty For Me" und aus "Following": Ein Mann und eine Frau, beide am Telefon

Universal | Momentum Pictures

Die Heimkino-Tagebücher: Zurück an den Start mit Christopher Nolan und Clint Eastwood

Ihre neuen Filme „Tenet“ und „Richard Jewell“ sind wieder einmal verschoben worden. Eine gute Gelegenheit, zwischendurch mal die Debütwerke von Nolan und Eastwood zu sichten.

Von Christian Fuchs

Der Druck wächst. Es scheint, als ob mittlerweile die Hoffnungen der ganzen Coronavirus-geschwächten Filmindustrie auf Christopher Nolans Schultern ruhen. „Tenet“, sein 205 Millionen Dollar teurer Mix aus Agententhriller, Actionspektakel und Science-Fiction, soll das Publikum in Massen in die wieder eröffneten Kinos zurückbringen. Aber noch ist die Situation unberechenbar. Weswegen das verantwortliche Studio Warner den Blockbuster vor kurzem erneut verschoben hat, auf 12. August.

Wer sich inzwischen frühere Filme von Nolan zur Einstimmung anschauen will, aber all seine bombastischen Epen, von der „Dark Knight“-Trilogie über „Interstellar“ hin zu „Dunkirk“ schon kennt, sollte vielleicht „Following“ wagen. Der Debütstreifen des britischen Regisseurs, veröffentlicht 1998, enthält schon viele Schlüsselelemente aus Christopher Nolans späterem Schaffen.

Screenshot aus "Following": Mann im Anzug in der Menschenmenge einer Großstadt

Momentum Pictures

„Following“

Formal ist „Following“ aber mit seinen anderen Filmen nicht vergleichbar. Woran auch die unfassbar geringen Produktionskosten von angeblich 6.000 Dollar Schuld sind. Mit Freunden und Familienangehörigen als Darstellern hat Nolan den schwarzweißen NeoNoir-Thriller an Wochenenden gedreht, über einen langen Zeitraum hinweg. Aber trotz aller No-Budget-Einschränkungen, die Story, die ist eben schon ganz typisch Christopher Nolan.

Düstere Noir-Hommage zum Billigtarif

„Ich habe den Drang, Leute zu beschatten“, gesteht der junge Londoner Drifter Bill (Jeremy Theobald). Der erfolglose Schriftsteller folgt wildfremden Menschen durch die Straßen der britischen Metropole. Dabei lernt er Cobb (Alex Haw) kennen, einen eleganten Einbrecher, der gerne seine Opfer zuvor ausgiebig ausspioniert. Die beiden Männer werden zu einem kleinkriminellen Duo, angetrieben von Voyeurismus und Überheblichkeit. Als Bill eine mysteriöse Frau (Lucy Russell) kennenlernt, in deren Wohnung die beiden Männer zuvor eindringen, wird der Plot plötzlich irritierend und verschwörerisch.

Screenshot aus "Following": zwei Männer im Gespräch

Momentum Pictures

„Following“

Verwirrend ist auch ganz bewusst der Erzählstil. Christopher Nolan spielt bekanntlich gerne in vielen seiner Filme mit Zeitebenen - und er legt schon in seinem Erstling falsche Fährten aus. „Following“ hat diesbezüglich einige gute Twists parat, wirkt wie eine Fingerübung für Nolans Folgefilm „Memento“, mit dem er danach den breiten Durchbruch schaffte. Das Schauspiel mag zwar bisweilen holprig anmuten, der Studentenfilm-Touch lässt sich nicht verleugnen, als düstere und sehr britische Noir-Hommage überzeugt „Following“ aber heute noch.

Eine verhängnisvolle Affaire

90 Jahre ist der Regisseur, Schauspieler und Produzent Clint Eastwood unlängst geworden, man darf von einer amerikanischen Institution sprechen. Eigentlich hätte sein neuer Film „Richard Jewell“, der in den USA bereits im vergangenen Spätherbst angelaufen ist, diese Woche in den heimischen Kinos starten sollen. Aber auch dieses Sozialdrama, rund um den wahren Fall eines von den Medien gehetzten Terrorverdächtigen, wurde noch einmal verschoben, auf 16. Juli.

Wer den Regisseur nur mit dem manchmal etwas dick aufgetragenen Pathos und der Heldentum-Verehrung seines Spätwerks assoziiert, sollte auch in diesem Fall zurückblicken. Auch wenn der dämliche deutsche Titel „Sadistico: Wunschkonzert für einen Toten“ an schundige Horror-Exploitation denken lässt, Eastwoods Regiedebüt „Play Misty For Me“ aus dem Jahr 1971 ist ein kleiner, feiner und sehr gemeiner Psychothriller.

Screenshot aus "Play Misty For Me": Mann blickt skeptisch zu einer Frau

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Nacht für Nacht läutet das Telefon bei einem kleinen nordkalifornischen Radiosender während der Show des DJs Dave. "Bitte spiel doch den Song ‚Misty‘ für mich“, wünscht sich eine geheimnisvolle Anruferin stets den selben Jazzklassiker. Als Dave bald darauf in einer Bar eine unbekannte Frau kennenlernt und mit ihr gleich im Bett landet, stellt sich heraus: Evelyn ist die mysteriöse Madame Misty. Und sie will mehr als einen One-Night-Stand mit ihrem Lieblings-DJ, sie möchte ihn ganz und gar für sich.

Schon bald wird die Situation ernst für den zynischen Playboy Dave. Evelyn, die anscheinend an psychotischen Schüben leidet und in einer Traumwelt lebt, lässt sich von dem Moderator nicht abservieren. Aus der verhängnisvollen Affaire wird ein heftiger Albtraum und „Play Misty For Me“ verwandelt sich in einen eindringlichen Thriller auf den Spuren von Alfred Hitchcock und italienischer Giallo-Movies.

Chauvinist mit Hippie-Einschlag

Das seinerzeitige Publikum kannte den Hauptdarsteller und Regisseur des Films nur aus ikonischen Italowestern von Sergio Leone. Clint Eastwoods wortkarge Revolverhelden verkörperten darin einen Männertypus an der Grenze von Coolness und Gefühlskälte. Kurz bevor er als gnadenloser Cop Dirty Harry endgültig zum Superstar des maskulinen Gewaltkinos mutierte, mit stets zugekniffenen Augen und schwerer Waffe im Anschlag, überraschte Eastwood als Radio-DJ mit Hippie-Einschlag.

Screenshot aus "Play Misty For Me": Mann und Frau an einer Bar

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Dabei blickt er als Regisseur kritisch auf die von ihm gespielte Hauptfigur. Auch in späteren Filmen wie „Unforgiven“ oder „Gran Torino“ dekonstruiert Clint Eastwood die Macho-Mentalität seiner Charaktere. Der Womanizer Dave steht für den Spirit der frühen 70er, als sich hinter lockeren Gegenkultur-Fassaden beinharter Chauvinismus verborgen hat.

Zeitlos beklemmend ist dagegen die Performance von Jessica Walter als Evelyn. Die eher unbekannte Darstellerin spielt die manische Stalkerin großartig, vielschichtig, mit feinen Nuancen zwischen Tragik und Terror. Alleine ihre Tour de Force macht den Film unbedingt sehenswert.

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