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Ausschnitt einer digitalen Collage des Amerikanischen Künstlers Beeple

APA/AFP/CHRISTIE'S AUCTION HOUSE/Handout

Schluss mit dem NFT-Hype

Bei NFTs, Ethereum und Bitcoin geht es nicht ums Geld verdienen, sondern darum, Geld nachhaltig zu verändern.

Von Christoph „Burstup“ Weiss

Zeitungen, Fernsehen und Radio berichten derzeit vermehrt von Millionen, die mit dem Verkauf von Pixelkunst und Musik als Non Fungible Tokens verdient werden können. Das neue Album der Kings of Leon wird nicht nur in Musikmedien, sondern auch im Börsen-TV und auf Fintech-Websites besprochen. Das Auktionshaus Christie’s versteigert eine digitale Collage des US-Künstlers Beeple (siehe Auschnitt daraus oben) als NFT für 69,3 Millionen US-Dollar. William Shatner, bekannt als James T. Kirk in Star Trek, steht im Rampenlicht, weil er binnen Minuten tausende digitale Sammelkarten mit Fotos von sich selbst als Tokens verkauft hat. Wohin der Jubel führt, ist jetzt schon klar: In einigen Monaten werden viele dieser Medien den Trend als beendet, die Blase als geplatzt, das Konzept als gescheitert erklärt haben. So funktioniert ein Hype Cycle üblicherweise. Deshalb fordere ich das Ende des nervigen Hypes schon jetzt. Gleichzeitig will ich festhalten: Non Fungible Tokens sind großartig. Aber sie sind nicht das, was sie zu sein scheinen.

Mei Bier is ned deppat, Edmund Sackbauer als NFT, Cryptowiener

Cryptowiener

Mei Bier is ned deppat - Edmund Sackbauer als Pixelkunst beim österreichischen NFT-Projekt Cryptowiener

Nochmal ganz vom Anfang an

Die ursprüngliche Idee für Kryptowährung stammt aus den neunziger Jahren. Sie wurde damals diskutiert in einer anonymen Mailing-Liste namens “Cypherpunks”. Der Name ist eine humorvolle Anspielung auf das SciFi-Genre Cyberpunk und das englische Wort Cipher (Verschlüsselungsalgorithmus). Denn die Gruppe agierte unter anderem als Bürgerrechtsbewegung, die erfolgreich für das Recht auf private Verschlüsselung kämpfte. Noch in den neunziger Jahren hatten sich in den USA sichere Verschlüsselungs-Algorithmen auf einer Liste verbotener Waffentechnologie befunden, und den Cypherpunks gelang es, die öffentliche Meinung zu drehen und die Politik umzustimmen.

Aus der Bewegung entsprangen in den Folgejahren auch einige der wichtigsten Technologien des heutigen Internets, darunter PGP (E-Mail-Verschlüsselung), SSL (Web-Verschlüsselung), TOR (Anonymisierung) und BitTorrent (Filesharing). Auch der wissenschaftliche Aufsatz, in dem das Bitcoin-Protokoll erstmals beschrieben wurde, wurde erstmals in der Cypherpunks-Mailinglist veröffentlicht. Mit Bitcoin wollten die Erfinder*innen ein elektronisches Bargeld erschaffen, das in einem Netzwerk ohne zentrale Kontrolle direkt zwischen Nutzer*innen versendet werden kann. Die Erfindung wurde in Cypherpunk-Kreisen zuerst mit großer Skepsis unter die Lupe genommen. Als sich herausstellte, dass sie tatsächlich funktionieren würde, war der Enthusiasmus groß - und unter den begeisterten Early Adopters wurde auch gleich über die Möglichkeit nachgedacht, im Bitcoin-Netzwerk unverwechselbare Tokens zu kreieren. Sie wurden anfangs noch Colored Coins genannt. Die Idee für NFTs ist also fast so alt wie die für Kryptowährung.

Warum überhaupt Kryptogeld?

Jahrhunderte lang existierte Geld in Form von Warengeld, zum Beispiel auf Basis von Silber und Gold. Spätestens seit 1973, als die Vereinigten Staaten der eingegangenen Verpflichtung, von Mitgliedsstaaten eingereichte US-Dollars in Gold einzulösen, nicht mehr nachkamen, legen alle Währungssysteme den Wert nicht mehr zu einer offiziellen Rate mit einem Rohstoff fest. Stattdessen wird die Währung als gesetzliches Zahlungsmittel vorgeschrieben und erlangt die Eigenschaften von Geld durch die daraus resultierende, allgemeine Akzeptanz von Handelspartnern.

Das Material bzw. die Form der Währung (Papier, billiges Metall wie Kupfer und Nickel oder Einträge auf Bankkonten) ist dabei nicht relevant. Diese Form des Geldes wird Fiatgeld genannt. Das lateinische Wort fiat heißt “es entstehe”, und Fiatgeld wird bei steigendem Bedarf durch Banken geschöpft. Es entsteht also bei der Kreditvergabe. Zumindest in der Theorie wird Geld bei sinkendem Bedarf auch wieder aus dem Kreislauf herausgenommen - durch Rückzahlung von Krediten. Letzteres funktioniert jedoch schon lange nicht mehr richtig: Die Geldmenge ist im Lauf der letzten fünf Jahrzehnte exponentiell gewachsen. In den Vereinigten Staaten wurde 2020 innerhalb nur eines Jahres ein Fünftel aller derzeit existierenden US-Dollars gedruckt. In der Eurozone sieht es nicht viel besser aus.

M1 Money Supply (USD)

Federal Reserve Economic Data

Die Vermehrung der Geldmenge am Beispiel des US-Dollars

Geld dient als Messinstrument für Arbeitszeit, Güter und Dienstleistungen. Dieses Messinstrument wird zunehmend verzerrt. Auch die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich hat damit zu tun: Denn ein Großteil des neu geschöpften Geldes geht zuerst an jene Personen und Institutionen, die den Zentral- und Privatbanken am nächsten stehen. Diese kaufen damit Assets ein, also zum Beispiel Aktien und Immobilien. Der oft beschworene Trickle-Down-Effekt stellt sich nicht ein. Auch im Pandemiejahr 2020 hat sich gezeigt: Während in Not geratene Arbeiter*innen Almosen erhalten, kassieren Konzerne und Spekulant*innen Kredite und Bailouts in der Höhe von Milliarden, mit denen sie die Preise für Grundstücke, Häuser und Firmenbeteiligungen in die Höhe treiben.

Der Mechanismus, durch den sich Geld bei Erhöhung der Geldmenge durch Kreditvergabe nicht gleichmäßig auf die gesamte Volkswirtschaft verteilt, wurde bereits im Jahr 1755 vom irisch-französischen Ökonomen Richard Cantillon in seinem Aufsatz “Abhandlung über die Natur des Handels im Allgemeinen” beschrieben und wird heute als Cantillon-Effekt bezeichnet. Die Cypherpunks der neunziger und nuller Jahre sahen ihn - neben der zunehmenden Überwachung in den USA - als Hauptgrund für den Bedarf nach einem dezentralisierten, elektronischen Bargeld, dessen Menge gedeckelt ist und nicht durch Banken manipuliert werden kann.

Dezentralisierung

Viele der Sicherheitslücken der Gegenwart, der Missbrauch unserer Privatsphäre, Datendiebstähle, schlechte Governance und Zensur haben mit den monopolartigen und zentralisierten Strukturen im heutigen Internet zu tun. Als anschauliches Beispiel, wie Zentralisierung zu Problemen mit Macht und Kontrolle führt, eignet sich ein Bereich der Popkultur sehr gut: Videospiele. Sie sind für viele Menschen nicht nur Unterhaltung, sondern ein wichtiger Teil ihres Lebens. Denn in Spielen geht es oft um die soziale Interaktion - um gemeinschaftliche Erlebnisse in Online-Role-Playing-Games, den Wettkampf im E-Sport, den kreativen Prozess in Sandkisten wie Minecraft und Roblox.

Doch die meisten Games sind heutzutage geschlossene Systeme, sie sind voneinander isoliert und es gibt keine Überlappung oder Verbindung zwischen ihnen. Die Spielefirmen haben die absolute und vollständige Kontrolle. Als Benutzer*in dieser Plattformen hast du keine Privatsphäre, keine Sicherheit und keine Kontrolle über die von dir erstellten Assets. Du kannst die wertvollen Sammelkarten, die du in Hearthstone hast, nicht in ein anderes Sammelkarten-Spiel mitnehmen.

Blockchains und Non-Fungible-Tokens können hier Lösungen bieten. In einer utopischen Welt der Videospiel-Kultur können wir unsere Avatare, Ausrüstungsgegenstände und Sammelkarten von einem Game ins andere mitnehmen. In einer besseren Welt der Social Media können wir unseren Digital Identifier mittels eines verschlüsselten Containers von einer Plattform zur nächsten mitnehmen, sodass sie nicht von einer Autorität per Mausklick vernichtet werden kann. In einer idealen Zukunft des Musik-Streamens werden Songs nicht von Apple oder Spotify verwaltet, sondern von Künstler*innen selbst, in dezentralisierten Musik-Netzwerken, deren Non-Fungible-Tokens gleichermaßen als Urheberrechtsnachweis wie als Lizenz für Musikfans dienen, und in denen Millionstelbruchteile von Cents als streamendes Geld zwischen Kreativen und Fans fließen.

Denk an das Spendensystem von Twitch, aber mit Millionen von Mikrotransaktionen, die jede Sekunde um die Welt strömen. Und das ist der Grund, warum die aufgeregten Berichte über tausende Euro, die man mit tokenisierten Pixeln verdienen kann, eigentlich eine Ablenkung sind. In Wirklichkeit ist der NFT einer von vielen Bausteinen der gerade entstehenden, auf Open-Source-Software basierenden Netzwerk-Infrastruktur für Streaming Money. Für Geld als Peer-to-Peer-Datenstrom.

Was kann man damit machen?

Stellen wir uns vor, jemand baut solch einen dezentralen Cloud-Speicher für Musik und audiovisuelle Kunst. Millionen Computer-Besitzer*innen auf der ganzen Welt borgen einen kleinen Teil ihres Festplatten-Speichers an die Cloud. User*innen, die einen selbst produzierten Song ablegen, bezahlen für den genutzten Speicherplatz eine geringe Menge an Kryptogeld direkt an jene Menschen, deren Festplatten die Daten beanspruchen - sagen wir 0.00000001 Bitcoins pro Kilobyte. Ein Non Fungible Token ist mit dem Musikstück verknüpft und verweist auf den Autor des Songs. Wer das Musikstück nicht kaufen, aber als Stream anhören will, bezahlt 0.00000001 Bitcoins pro Sekunde. Wer den Song kaufen will, zahlt etwas mehr und erhält ihn zusammen mit einem Non Fungible Token als Nachweis für den Kauf. Dieser NFT kann auch an eine*n andere*n User*in weiterverkauft werden. Sämtliche Flüsse von Geld (für beanspruchten Speicherplatz, für gestreamte Musik) und für sämtliche Rechte und Lizenzen (Urheberrechte, Kauf und Besitz eines Songs) werden automatisch, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag und Millionen mal pro Sekunde über den Smart Contract geregelt und gestreamt. Zentrale Server, Intermediäre und Autoritäten sind dafür nicht notwendig. Software in Form von Smart Contracts verwaltet Tokens und Geldflüsse in Echtzeit.

Gibt eine solche Plattform bereits?

Nein. Doch dorthin geht die Reise. Denn die Kommunikationsprotokolle von Bitcoin und Ethereum werden seit Jahren um verschiedenste Layers erweitert, ähnlich dem heutigen Internet, das aus hunderten übereinander geschichteten Protokollen besteht. Diese sehr langsam stattfindende Erweiterung der Architektur der Kryptowährungen führt zu exponentiell steigender Leistung bei gleichzeitig besserer Energieeffizienz. Auch hier sehen wir eine Parallele zur Entwicklung des Internets, dessen Stromverbrauch und Leistungsfähigkeit in den neunziger Jahren oft falsch eingeschätzt wurde. Die Effizienz von Netzwerken skaliert nicht linear.

Die naive Aufregung rund um erste Versuchsballons mit Kryptowährungs-Netzwerken, wie wir sie derzeit rund um NFTs erleben, ist ein Symptom des Experimentierstadiums, in dem sich die junge Technologie befindet. Wenn sich der Hype rund um Captain-Kirk-Sammelkarten und teure Pixelkunst bald wieder legt und NFTs für tot erklärt werden, dann werden die Smart-Contract-Entwickler*innen, die Künstler*innen und die Visionär*innen trotzdem weiter am Internet des Streaming Money bauen. Das Ergebnis sehen wir wahrscheinlich in ein bis zwei Jahrzehnten.

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