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Portrait von Franzobel

Zita Bereuter

Wortlaut

Franzobel in der FM4-Bücherei

Der Schriftsteller und heuer auch Wortlautjuror Franzobel hat so viele Bücher, dass er notfalls drei Jahre am Stück durchlesen kann. Drei Werke daraus stellt er in der FM4 Bücherei vor. Dort erzählt er auch von seinen ersten Leseerfahrungen und warum seine bevorzugte Schreibhaltung das Liegen ist.

von Zita Bereuter

Franzobel ist gewissermaßen ein Sonntagskind. „Für mich ist schon jeder Tag Sonntag, weil ich hab’ ja keine geregelten Arbeitszeiten als Schriftsteller.“ Er teilt sich die Arbeit ein - egal an welchem Tag. „Sonntag ist halt der Tag, wo ich dann irgendwie vor geschlossenen Geschäften stehe, und mir denke: Oh, Sonntag ist.“

verschiedene FM4 Büchereiausweise

Zita Bereuter

Die FM4 Bücherei ist keine herkömmliche Bücherei, in der man Bücher ausleiht, sondern eine, in der Bücher vorgestellt werden.

Der oder die Besucher*in der FM4 Bücherei stellt seine oder ihre drei Lieblingsbücher vor bzw. Bücher, die man lesen sollte.

Franzobel besucht sie am Sonntag, 25. April von 15 bis 16 Uhr.

Und 7 Tage zum Nachhören im FM4 Player.

Am Anfang war das Bild

Wenn sich Franzobel an seine ersten Leseerfahrungen erinnert, sieht er sich und seine Mutter auf dem Dachboden des Hauses vom Großvater. In Oberösterreich. Auf dem Land. Die Chemiewerke Lenzing in Sichtweite. Die Mutter hängt Wäsche auf. „Ich sehe da noch irgendwie diese Lichtschwerter, in denen die Staubflankerl tanzen.“ Der Fünfjährige findet in einem Kasten gebundene Micky Mouse Hefte. Es ist der Anfang einer lebenslangen Liebe mit Folgen.

Kinderbücher und Schullektüre interessieren ihn später nur bedingt. Zu didaktisch. Zu durchschaubar die Charaktere. „Das waren immer so unwirkliche Menschen, so nachgemachte Menschen, die irgendeine Moral ausleben müssen.“ Von Comics wie „Mad“, „Clever und Smart“ wechselt der Teenager allmählich zur Literatur. „Die neuen Leiden des jungen W.“ sind ein Meilenstein für ihn. Er entdeckt Kishon, liest früh „Die Blechtrommel“ und wagt sich in die hohe Literatur.

Franzobel besucht eine HTL, träumt davon, „ein großer Malerfürst“ zu werden. Die Akademie sieht das anders und nimmt ihn gar nicht erst auf. Franzobel ist beleidigt und probiert es kein zweites Mal. Kunst und die Malerei bleiben ihm dennoch wichtig. Damit beschäftigt er sich, auch wenn er für die Kinderbeihilfe Germanistik und Geschichte inskribiert.

Gegenwärtig ergänzt sich all das wieder: er schreibt historische Romane, die sich durch sprachliche Bilder auszeichnen.

Romane von Franzobel auf FM4:

Die Bilder im Liegen verschriftlichen

Mit dem richtigen „Stoff“ ist es wie bei einer Beziehung, erklärt Franzobel: „Man begegnet dem Stoff, sieht den zum ersten Mal und fängt sofort Feuer und Flamme und weiß dann auch eigentlich gleich, dass man damit irgendwie die nächsten Jahre seines Lebens verbringen will.“ In dieser langen Beziehung widmet sich Franzobel ganz dem Thema: recherchiert gründlich, reist viel, nimmt mit allen Sinnen möglichst intensiv wahr. Von Pflanzen über Gerüche zu Kulinarik. Franzobel will das Stoffgebiet erobern.

Das Schreiben selbst geschieht dann im Bett. Liegend. „Ich hab’ mir so eine Stellung angewöhnt, dass mir die Hand nicht zu schnell einschläft.“ In diesem Halbschlaf sieht er die Handlung geradezu filmisch. Natürlich lauert da die Gefahr des Einschlafens, aber „wenn man dann so ein bisschen hineinkommt in die Geschichte und so einen Film ablaufen sieht, dann ergeben sich oft einfach die Szenen von selber und sind oft Sachen ganz klar.“

Portrait von Franzobel

Zita Bereuter

Humor als roter Faden und Waffe

Franzobel schreibt liegend nicht nur äußerst vielseitig: von Theaterstücken über Erzählungen, Krimis, Romane bis hin zu Kinderbüchern, er ist auch sehr produktiv. Der rote Faden, der sich immer wieder durchzieht, ist der Humor: „Ich hab irgendwie einen gewissen Bammel vor zu viel Ernsthaftigkeit. Mir ist diese Ernsthaftigkeit irgendwie suspekt.“ Vor allem auch von Leuten, die glauben, sie haben eine Wahrheit oder eine Ideologie, mit der sie alles subsumieren - egal ob Politik oder Religion. „Ich habe so einen kleinen Anarchisten in mir, der immer an deren Tischbeinen sägen muss. Und da ist der Humor der gutes Mittel.“

Er schätzt die unterschiedlichen Nuancen von Humor. „Im Prinzip ist der Humor vielleicht die Waffe der kleinen Leute und auch eine Waffe, gegen die sich die Mächtigen nicht wirklich wehren können."
Mit dieser Waffe kämpft Franzobel gekonnt. Über Humor ist er letztlich auch zur Literatur gekommen. Ob Comic oder Blechtrommel - er findet was zu lachen. "Ich glaube, das spürt man halt auch in dem, was ich da mache. Weil das Leben auch so viel schöner und so viel reicher ist, wenn man so einen spielerischen Zugang hat, weil man über über Sprache irgendwie was machen kann, weil man die Dinge nicht ganz ernst nimmt.“

Lieblingsbücher

Mit Lieblingsbüchern ist das so eine Sache. Er hat kein Lieblingsbuch, erklärt Franzobel: „Ich bin eigentlich der Meinung, dass man als Mensch immer zu gewissen Zeiten seines Lebens irgendwelche Bücher besonders liebt. Weil die einfach besonders passen. Und zehn Jahre später kann man mit diesen Büchern vielleicht gar nichts mehr anfangen.“ In Folge stellt Franzobel drei Bücher vor, die ihm wichtig sind.

buechereiausweis von franzobel, gruene karteikarte mit zeichnung

FM4/Bereuter/Franzobel

T.C. Boyle: Wassermusik

"Ich bin deswegen draufgekommen, weil mein Roman ‚Das Floß der Medusa‘ von sehr vielen Lesern damit verglichen worden ist. Ich kannte das Buch ‚Wassermusik‘ nicht. Dann habe ich mir das irgendwann mal angesehen und es ist tatsächlich eine ähnliche Verfahrensweise. Es ist ein historischer Stoff. Es geht um einen Eroberer oder Entdecker. Mungo Park heißt der. Ein schottischer Entdecker, der unbedingt als erster Europäer den Niger in Afrika finden wollte. Das ist ihm auch geglückt. Das ist quasi diese historische Rahmenhandlung. Und TC Boyle erzählt einerseits diese historische Geschichte, andererseits fügt er oder vermischt er das mit sehr viel Fiktion. Und das macht irgendwie den besonderen Reiz dieses Buches aus. Und das finde ich auch für mich selbst, dass das irgendwie in ein schöner möglicher Zugang für historische Abenteuerromane ist.

Also er führt z.B. einen Johnson ein, das ist ein Schwarzer, der zuerst Sklave in den USA war. Dann ist er wird er verschlagen nach Großbritannien, wird dann mitgenommen als Dolmetscher, wird eigentlich zu Ende des ersten Teils von Wassermusik, glaube ich, dass das dort stattfindet, von einem Krokodil gefressen, taucht aber dann wieder auf. Und dann gibt’s ja einen Verbrecher Ned Rise so ein Trunkenbold, kleiner Gauner. Das sind so Figuren des Subproletariat, die mich auch immer sehr interessiert haben. Der wird eigentlich aufgehängt zu Ende des ersten Teils, taucht auch wieder auf. Man weiß nicht, wie das funktioniert, aber es funktioniert.

Da gelingt dem TC Boyle so eine Mischung aus Abenteuerroman, Fieberfantasie, Groteske. Es ist eine ganz spezielle neue Form, die er vielleicht entwickelt hat. Und in dieser Tradition sehe ich mich jetzt mit meinen letzten Romanen, mit dem „Floß der Medusa“, mit der „Eroberung Amerikas" eigentlich auch. Weil das irgendwie eine schöne Möglichkeit ist, über Geschichte, über den Fixierspiegel der Geschichte auch Dinge über die Gegenwart zu sagen. Also, indem man einfach die Gesellschaft der damaligen Zeit ein bisschen ironisiert, indem man vielleicht auch zeigt, wie es uns viel besser geht. Oder was wir alles erreicht haben. Das birgt irgendwie sehr viel Potenzial, diese Erzählmöglichkeit.“

drei buchcover: T.C. Boyle: Wassermusik

Tom Wolfe: Die Helden der Nation

Reinhard P. Gruber: Aus dem Leben Hödlmosers: 
Ein steirischer Roman mit Regie

Hanser I Hoffmann und Campe I Residenz Verlag

T.C.Boyle: Wassermusik, übersetzt aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser Verlag; Tom Wolfe: Die Helden der Nation, übersetzt aus dem Englischen von Peter Naujack, Hoffmann und Kampe; Reinhard P. Gruber: Aus dem Leben Hödlmosers – Ein steirischer Roman mit Regie, Residenz Verlag

Tom Wolfe: Die Helden der Nation

"Tom Wolfe ist ein Autor, den ich lange Zeit abgelehnt habe - aus optischen Gründen. Weil der nämlich so das Auftreten eines Dandys hatte: immer weiße Anzüge an, Stecktuch, manchmal noch so einen weißen Hut. Irgendwie hat er immer ausgeschaut wie ein Tanzlehrer, irgendwie war mir der immer unsympathisch.

Und dann habe ich irgendwann mal dieses ‚Helden der Nation‘ entdeckt. Da geht’s um die Mercury Seven. Das sind Kampfpiloten, die irgendwo in der Wüste Amerikas, Nevada oder Arizona,vich weiß es nimmer ganz genau, ihre Fähigkeiten als Kampfflieger noch mehr ausbauen. Und ein Teil davon wird dann in das erste Astronautenprogramm der USA übernommen.

Tom Wolfe beschreibt sehr genau, wie diese Helden der Nation irgendwie menschlich sind, wie sie unglaubliche Strapazen erleiden müssen. Zuerst als Kampfflieger brechen sie alle möglichen Höhen- und Geschwindigkeitsrekorde, also lauter Dinge, die heute völlig irrelevant sind. Als auszubildende Astronauten werden sie dann in Zentrifugen herum geschleudert wie Butter. Oder man füllt sie an mit Klistieren, man füllt ihre Därme an, ihre Blasen und schaut, wie lange haltens sie das aus, bis irgendwas in die Hosen geht. Man quält die total, wie Hamster im Rad, könnte man sagen. Und ein paar davon schaffen’s dann irgendwie, dass sie Astronauten werden. Und diese Vermenschlichung der Helden hat mich irgendwie fasziniert an diesem Buch.

Aber was mich viel mehr fasziniert bei Tom Wolfe, ist einfach sein ironischer Erzählstil. Er ist Mitbegründer des New Journalism. Gemeinsam mit Truman Capote und Norman Mailer und noch ein paar anderen, war er einer der ersten, der so in den 50er, 60er Jahren begonnen hat, journalistische Texte auch literarisch zu schreiben. Da fällt dieser Helden der Nation-Reportageroman auch darunter.
Und es ist ja einfach eine unglaublich geile Schreibweise, wie der schreibt. Man sagt ja irgendwie, Thomas Mann wäre der große Stilist oder Houellebecq oder vielleicht Christian Kracht oder so Leute. Aber ich finde, dass dieser Tom Wolfe die alle übertrifft. Der schreibt so wahnsinnig geile, großartige Vergleiche und schöne, auch elegante Sätze, ohne sich irgendwie dem Dreck ganz zu verwehren. Also der hat irgendwie auch seinen Platz bei ihm. Und es ist dieser Autor, den ich wahnsinnig liebe."

Reinhard P. Gruber: Aus dem Leben Hödlmosers – Ein steirischer Roman mit Regie

"Das ist ein österreichisches Buch, also quasi ein Klassiker der österreichischen Anti-Heimatliteratur. Er beschreibt irgendwie so einen steirischen Anti-Helden in diesem Herrn Hödlmoser, der durch die Steiermark mit ungeheurer Ländenkraft zieht und auf sehr lustige Art und Weise da sein Unwesen treibt.

Für mich ist es insofern wichtig, weil es war so eines der ersten Bücher, die mich völlig vom Sessel gehaut haben. Weil das hatte mit klassischer Literatur, wie ich sie so in der Schule mitbekommen habe, überhaupt nichts zu tun. Es geht eher so in Richtung Kabarett, Groteske. Das ist irgendwie ein Buch, das einem wirklich auch die Schuhe auszieht.

Wir waren in der HTL und eigentlich fast nur Burschen in der Klasse. Also Testosteron geschwängerte Technofreaks, Ferrosexuelle, die irgendwie eben nur auf die Eisenbahn geschaut haben - was für Nummern auf den Loks oben stehen und irgendwelche Getriebepläne und keine Ahnung was die alles im Kopf hatten. Und dann haben wir diesen Hödlmoser gelesen. Unser Lehrer war wirklich sehr engagiert und hat versucht uns - mich vielleicht ein bisschen Ausnahme - aber alle anderen waren natürlich völlig Literatur und Kunst desinteressiert - und mit so einem Hödlmoser hat der alle erwischt. Also die ganze Klasse ist gelegen vor lauter Lachen und das war einfach ein großartiges kollektives Erlebnis, mit diesen angehenden Technikern sowas zu lesen. Deswegen war das für mich großartiger Text, der auch wirklich so ein bisschen ein Klassiker ist.

Ich habe dann kurz nach dem Bachmannpreis mit dem R.P. Gruber auch in Mürzzuschlag eine Lesung gehabt. Ich glaub in Langenwang haben wir dann übernachtet und da hat er dann gesagt: ‚Schiach is do ka Kategorie, weil schiach is do überall.‘“

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