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John Wray

Zita Bereuter

„Männer sind sehr verstörend“

Der österreichisch-amerikanische Autor John Wray erforscht in seinen Erzählungen die finsteren Ecken und Tiefen von Männern. Von Protzmännern zu Trotzhäusern. Das ist verstörend. Erschreckend. Und sehr gut.

Von Zita Bereuter

„Der Unterschied macht sich bemerkbar auf subtilste Art und Weise, zunächst im Dialog, durch kleine Fehler, als ob die Personen Englisch nur als Zweitsprache sprechen würden“, schreibt John Wray in der Erzählung „Madrigal“ der gleichnamigen Protagonistin zu. Es war der erste publizierte Text, den John Wray auf Deutsch geschrieben hat. Auch wenn seine Muttersprache Deutsch ist - seine Mutter stammt aus Kärnten - hat er seine bisherigen fünf Romane auf Englisch verfasst. Naheliegend, schließlich hat er einen amerikanischen Vater und ist in den USA aufgewachsen.

John Wray - Madrigal

Rowohlt

Die scheinbare Idylle ist zerknüllt. Schon das Cover zeigt eine einst ruhige Flusslandschaft, die durch gewaltsames Zerknäulen zerstört wurde.

John Wrays „Mardigal“ ist 2021 bei Rowohlt erschienen.

2017 las er „Madrigal“ beim Wettlesen um den Bachmannpreis und wurde mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Heuer ist ein Erzählband erschienen, den John Wray auf Deutsch geschrieben hat. Der preisgekrönte Text „Madrigal“ ist darin nicht nur enthalten, sondern auch titelgebend. Die anderen sieben Erzählungen widmen sich hauptsächlich verstörten und verstörenden Männern.

„Höre das Gelächter, beinahe dankbar dafür, als der erste Schlag dich trifft. Schnappe nach Luft und lache vor Erleichterung, dass es endlich geschehen ist. Das Warten darauf war schlimmer als der Schmerz oder die Entwürdigung. Unvergleichlich schlimmer.“

In Befehlsform erzählt John Wray in „Sieh das Licht“ von einem Amokläufer. Vom Baby im Gitterbett an begleitet man seine Entwicklung bis hin zur Tat. „Männer sind sehr verstörend“, erklärt John Wray knapp. Besonders in Gruppen, wie etwa im Militär, erscheinen sie ihm merkwürdig. Wenn sich irgendwo ausschließlich Männer zusammengefunden hätten, habe das Misstrauen bei ihm hervorgerufen. „Es kam mir immer leicht unheimlich vor.“ Insofern sei dieser Erzählband vielleicht tatsächlich „ein Versuch, mein eigenes Unbehagen, was Männer als gesellschaftliche Gruppe betrifft, ein bisschen näher zu erforschen.“

Nichts desto trotz oder gerade deswegen wollte er sich mit dem Männerbild und Männerrollen auseinander setzen. Jeder Autor sollte einmal darüber schreiben, erklärt er im Interview. Mit zu dem Thema beigetragen hat die verstärkte Diskussion – gerade in den USA – über toxische Männlichkeit und zwei wichtige persönliche Ereignisse: der Tod seines Vaters und die Geburt seines Sohnes. „Ich wollte ganz sicher keine Lobeshymne schreiben über das männliche Geschlecht, sondern ganz im Gegenteil, ich wollte wirklich die finsteren Ecken und Tiefen erforschen.“

John Wray

Zita Bereuter

So erzählt er von beunruhigenden Männerfiguren. Von Männern, die das Gefühl haben, dass sie übergangen oder übersehen wurden. Von gekränkten, verletzten, missbrauchten Männern. Vor allem aber von toxischer Männlichkeit. Von sturen Bauern (die einzige Geschichte, die in Österreich spielt) über einen scheiternden Schriftsteller zum trotzigen Vater bis zum Mann, der gegen seine pädophile Neigung kämpft.

Leichte Kost ist das nicht. Was für die Leserschaft oft unangenehm ist, scheint für den Autor einfacher. „Was mich als Schriftsteller immer wieder überrascht, ist, dass man über Sachen schreiben kann, die einem in einem Film oder in einem Roman schreckliche Angst machen oder zutiefst deprimieren würden. Aber selber kann man irgendwie doch darüber schreiben, weil man sich dann nicht so sehr davon gefährdet fühlt.“

„Trotzdem werden bestimmte, ausgewählte Existenzen von Zeit zu Zeit scheitern, denn: kein Scheitern, keine Geschichte.“
(Aus der Erzählung „Madrigal“ von John Wray)

Interessant, dass er in seinem ersten deutschsprachigen Band ausgerechnet über toxische Männlichkeit schreibt und das Buch seiner Mutter widmet. „Ich selber habe mich als kleiner Bub immer mehr auf der Seite meiner Mutter gefühlt. Wir waren wirklich gute Freunde und das sind wir immer noch. Jetzt, wo ich drüber nachdenke, vielleicht aus Sympathie für die ziemlich harte Zeit, die sie durchgemacht hat, als ich klein war. Vielleicht habe ich deswegen meine Muttersprache gewählt für ein Buch über Männer, die, ob bewusst oder unbewusst, schlechte Taten begehen.“

„Er vermisste seine gewohnte Umgebung, so stumpfsinnig sie auch gewesen war; das konnte er sich nun eingestehen. Das Vergnügen, zum Beispiel die Frankfurter Schule in einem Raum voll feindlich gesinnter Studenten zu sezieren, ähnelte der Lust, die er als Kind verspürt hatte, wenn er an einem lockeren Zahn herumbohrte. Es war eine sadomasochistische Aktion, de facto ein Totentanz, und seine Studenten nahmen sie ihm entsprechend übel. Ihm schien sie angemessen und recht.“ (aus der Erzählung „Im Bereich des Möglichen“ von John Wray)

Im Idealfall soll sein Sohn den Erzählband später mal lesen. „Er wird sicher, wenn er erwachsen ist, überhaupt kein Interesse an meinen Büchern haben,“ analysiert John Wray trocken. „Aber ich könnte mir schon vorstellen, dass das ein junger Mann oder ein Teenager, der irgendwie anfängt, der Frage nachzugehen, wie ein Mann sich verhalten sollte oder was ein Mann überhaupt ist, dieses kleine Buch vielleicht als Warnbeispiel nehmen könnte. So sollte man nicht sein als Mann.“

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