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Filmstill aus "Lamb"

A24

Mary had a little lamb

Eine faszinierende Mischung aus Realismus und Märchen hat der isländische Regisseur Valdimar Jóhannsson in seinem Langspielfilmdebüt geschaffen. Für die Geschichte eines Ehepaars, das durch ein besonderes Ereignis neu zusammenfindet, nimmt sich „Lamb“ viel Zeit und konzentriert sich aufs Wesentliche.

Von Jenny Blochberger

Es waren einmal eine Schafbäuerin und ihr Mann. Die beiden lebten in der Abgeschiedenheit Islands und bestellten tagaus, tagein ihren bescheidenen Hof. Eines Tages geschah etwas Wundersames…

So könnte ein isländisches Märchen beginnen, in dessen Verlauf die Menschen allerlei falsche Entscheidungen treffen, um schlussendlich von einer höheren Macht dafür bestraft zu werden. Maria und Ingvar, gespielt von Noomi Rapace und Hilmir Snær Guðnason, bewirtschaften ihren abgelegenen Hof, auf dem sie mit Hund, Katze und Schafen leben, und wechseln besorgte Blicke, wenn der Traktor wieder mal seltsame Geräusche macht. Miteinander gehen sie liebevoll um, die große Leidenschaft dürfte aber vorbei sein.

Eines Tages helfen sie bei der Geburt eines Lamms, bei dem die Nabelschnur um den Hals geschlungen ist. Irgendetwas ist seltsam, die Zuseher*innen werden aber zunächst darüber im Dunkeln gelassen. Maria und Ingvar sehen sich an und vereinbaren stillschweigend: Das ist jetzt ihr Kind.

Dass es vor diesem angenommenen Kind noch ein anderes gegeben haben muss, wird spätestens dann klar, als Ingvar ein Gitterbett aus dem Schuppen holt und ins Elternschlafzimmer stellt. Maria singt dem in eine Decke gewickelten Lämmchen liebevoll vor und schließt die Fenster, wenn die Schafmutter draußen gar zu laut nach ihrem Kind blökt. Die kleine Familienidylle wird erst durch die Ankunft von Ingvars unruhestiftendem Bruder in Gefahr gebracht.

Was das hier verdammt noch mal sein soll, fragt Petur.
Glück, antwortet Ingvar schlicht.

Filmstill aus "Lamb"

A24

Die Horror-Aspekte in „Lamb“ sind so minimal, dass der Film eigentlich nicht wirklich in das Genre passt. Fans des für anspruchsvollen Horror bekannten Studios A24 (u.a. „Midsommar“ und „Hereditary“) werden hier vielleicht nicht ganz auf ihre Kosten kommen. Die Gefahr geht hier auch nicht, wie so oft, vom „unnatürlichen“ Element aus, das das Leben der Menschen infiltriert, sondern eher von den Menschen selbst und ihren Entscheidungen. Spät im Film gibt es zwar einen Quasi-Horror-Moment, der aber so platt und unsubtil ist, dass er einen fast herausreißt -, als wäre man plötzlich in einer Geisterbahn gelandet. Schade, denn der Zweifel, wie weit sich die Ereignisse in Maria und Ingvars Fantasie abspielen, wird in dieser Szene endgültig beseitigt, und das schwächt den Zauber der Geschichte.

Die schwedische Schauspielerin Noomi Rapace hat als Kind lange in Island gelebt und spricht daher fließend Isländisch. Ihr Filmpartner Hilmir Snær Guðnason ist in Island ein Star, bekannt u.a. aus „101 Rejkjavík“. „Lamb“ läuft momentan in ausgewählten Kinos in Österreich.

Ansonsten ist „Lamb“ aber großartig, gerade weil er die übernatürlichen Elemente so ernst nimmt. Maria und Ingvar sind wie Leute in einem Märchen, die ganz selbstverständlich mit den fantastischen Dingen umgehen, die ihnen passieren. Die schroffe Schönheit der isländischen Landschaft und die Tatsache, dass die Sonne monatelang nie untergeht, verstärken die märchenhafte Stimmung. Und ganz weltliche Sachen wie ein wichtiges Handballmatch, das Maria, Ingvar und Petur gespannt im Fernsehen verfolgen, gefolgt von einem ausgelassen-betrunkenen Handballspiel daheim, geben dazu wieder einen reizvollen Kontrapunkt ab. Diese Ebenen verwebt „Lamb“ gekonnt und nimmt die Zuseher*innen so mit in das düstere isländische Märchen.

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