FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Kristen Bell

Netflix

Eine besoffene Geschichte: „The Woman in the House across the Street from the Girl in the Window“

Manchmal schau ich Serien an, damit ihr das nicht tun müsst. Apropos: „The Woman in the House across the Street from the Girl in the Window“ mit Kristen Bell startet diese Woche bei Netflix.

Von Pia Reiser

Da kann der Film Noir und der Neo Noir noch so illusionslos die Großstadt als Moloch inszenieren, wo man lieber gleich alle Hoffnung auf Menschlichkeit fahren lässt, Serienmacher*innen und Krimi-Autor*innen setzen schon lange auf die (amerikanische) Vorstadt als Hort der menschlichen Abgründe, wohl auch deswegen, weil die Diskrepanz zwischen herausgeputzem Eigenheim inklusive grünem Rasen und weißem Zaun und Verbrechen und Niedertracht ein reizvolles Bild abgibt.

Die Serienmacher*innen bevölkern das Vorstadt-Idyll dann mit Frauen der oberen Mittelklasse, die abends gern ein schönes Glas Rotwein trinken und dabei die Strickjacke eng um den Körper wickeln. Serien wie u.a. „Desperate Housewives“ und „Big Little Lies“ haben diese Figur geformt. Als Faustregel gilt auch hier: Skeletons in the closet und Leichen im Keller.

Rich White Lady in Krimi-/Thriller-Welt

Die neue Netflix-Serie „The Woman in the House across the street from the Girl in the Window“ kombiniert das Rich White Lady-Seriensetting mit der Krimi/Thriller-Welt, die im Titel zitiert wird. Krimis, in denen Frauen mit Trauma ein Verbrechen beobachten, doch niemand glaubt ihnen, weil sie ein Alkoholproblem haben. Das die Kurzzusammenfassung von „The Woman in the Window“ und „The Girl on the Train“, beides Spitzen-Urlaubsthriller mit erstaunlich miesen Verfilmungen, wobei die Adaption von „The Woman in the Window“ mit Amy Adams tatsächlich nur ganz knapp an der Grenze zur Parodie vorbeischrammte. An der Parodie will „The Woman in the House across the street from the Girl in the Window“, wie man am Titel schon erkennt, gar nicht vorbeischrammen, sondern einem etablierten Genre eine satirische Seite verpassen. Das wäre in der Theorie dann Serie, die spannend sein soll und sich über die Art, wie erzählt wird und wie Spannung erzeugt wird, auch noch lustig machen soll Spoiler Alert: Es gelingt nicht.

Kristen Bell

Netflix

Kristen Bell sitzt also als frisch getrennte, frisch traumatisierte, aber immer auch frisch frisierte (messy bob!) Frau am liebsten in einem Lehnstuhl am Fenster, in ihrer Hand ein Rotweinglas in der Größe einer Ananas. Als gegenüber ein Mann mit seiner kleinen Tochter einzieht, findet sie den bärtigen Neil in seinen kuscheligen Pullis zumindest so interessant, dass sie das Haus wieder mal verlässt, um sich vorzustellen. Haus verlassen ist - ähnlich wie für Amy Adams in „The Woman in the Window“ schwierig - weil Anna Angst vor Regen hat und ein mit Regen in Berührung kommen für sie üblicherweise mit Ohnmacht endet. (James Stewart hatte ein Gipsbein in „Rear Window“, Shia La Beouf eine elektronische Fußfessel in „disturbia“, beides hat als Bild für „Ich kann hier nicht weg“ besser funktioniert).

Suspense wird dem Witz geopfert

In den Momenten, wo Anna allein in dem großen Haus ist, in dem sie bis vor kurzem noch mit ihrer Familie gelebt hat, funktioniert das Etablieren einer stabilen Ausgangslage für einen psychologischen Thriller. Kann man Annas Erzählhaltung trauen, fragt man sich, sind ihre Erinnerungen echt, knarzt da wirklich was am Dachboden? Kann man dem Mann gegenüber trauen, hat Annas Therapeut die Lage im Griff? Dass die etablierte Spannung dann mit teils recht bizarrem Humor gebrochen wird, steht im totalen Kontrast zu dem, was den psychologischen Thriller u.a. ausmacht, nämlich: die Spannung durchhalten. Der Witz, für den man die Suspense opfert, sollte dann schon zumindest spitze sein, ist hier aber auch eher nicht der Fall.

Szenenbild "The Woman in the House across the street from the girl in the window"

Netflix

Diese schwankende Tonalität zwischen Thrillermomenten und weirdem Humor könnte vielleicht in einem Film von Charlie Kaufmann eine interessante Melange abgeben, in dem Serien-Setting ist es allerdings eine Mischung, die nicht aufgeht. Es kommt, wie es kommen muss: Anna beobachtet gegenüber einen Mord, doch niemand glaubt ihr und sie beginnt auf eigene Faust zu ermitteln.

Spätestens beim an die Grenzen der erträglichen Gaganess stoßenden Showdown wird klar, dass das Satire-Potential des Drehbuchs für einen guten SNL-Skit gereicht hätte, aber nicht für 200 Serienminuten. Es schleicht sich der Verdacht ein, dass bei der Produktion der Serie der Fokus auf der Frage war, ob sie denn genug Meme-Material abwerfen wird. So bleibt das beste an „The Woman in the House across the street from the Girl in the Window“ der Titel - und ein Cameo ganz knapp vor Serienschluss. Und dann fährt einem doch einmal der Schreck in die Knochen, denn eine zweite Staffel wird angedeutet.

mehr TV-Serie:

Aktuell: