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eine Menschengruppe macht Yoga auf der Wiese, im Hintergrund sieht man Berge

Buero Ludwina

Abschalten im Offline Dorf

Fünf Tage ohne Smartphone. Dafür mit Yoga, Wandern, Pilze suchen und Eisbaden. Ein Projekt im „Offline Dorf“ Gargellen.

Von Zita Bereuter

Ein später Sonntagnachmittag im September auf einer Hotelterrasse im Bergdorf Gargellen. Rund 40 Menschen stehen sich wie zwei Mannschaften gegenüber: Auf der einen Seite die Einheimischen – leicht zu erkennen an ihren weißen T-Shirts mit dem kleinen Aufdruck auf der Brust „No scrolling. Just Living“ bzw. groß auf dem Rücken „Live is what happens when you are offline“. Auf der andern Seite die angereisten Teilnehmer:innen. Ein bunter Haufen – hauptsächlich aus der Medien- und Onlinewelt, einige haben den Aufenthalt gewonnen, einige machen privat mit.
Zwischen den Gruppen strahlt Linda Meixner und bittet die Angereisten, ihre Smartphones nun abzugeben.
Dafür stehen drei kleine Käfige bereit. Für Manche ist die Abgabe eine Erleichterung, andere lächeln eher gequält. Fünf Tage werden alle offline sein. Für Notfälle gibt es ein simples Handy, das nicht mal eine Kamera hat.

Die Gruppe hat sich vor zehn Tagen erstmals online getroffen und Anweisungen für erste Verhaltensänderungen erhalten:
Push Nachrichten ausschalten, das Smartphone aus dem Schlafzimmer verbannen, sich einen analogen Wecker zulegen. Die FOMO soll verringert werden, denn die ersten vier bis fünf Tage ohne Social Media seien am schwierigsten, erklärt Linda Meixner.

Going Offline
Ein Spezialtag auf FM4 am 2. Oktober 2023 mit einer Stunde Homebase Spezial zum Thema „Going Offline“. Ergebnisse, Erkenntnisse und Erlebnisse vom Offline-Sein, dem Offtober bis zum Offline-Dorf. Und dem Buchtipp: Anna Miller: „Verbunden“

Heute startet endlich ihr Projekt. Lange hat sie daran gearbeitet – jetzt kann sie es umsetzen. Linda Meixner ist Unternehmerin und Influencerin. „Outdoor&Happiness“ ist ihr Thema – 124.000 Leute folgen ihr mittlerweile auf Instagram. Dennoch oder gerade deswegen hat sie viel Erfahrung mit Offline sein. Denn irgendwann war der Influencerin die ständige Selbstdarstellung und das Beobachtet und Bewertet werden zu viel – ihr Körper schickte klare Signale und sie beschloss, 66 Tage offline zu gehen. Über dieses Selbstexperiment schrieb sie ihre Masterarbeit für Kommunikationsdesign. Und weil sie von dieser Abstinenz so profitierte, bat sie 2020 ihre Community, mit ihr einen Monat offline zu gehen - ein Monat ohne Social Media. Der "Offtober“ war geboren. Ein Jahr später arbeitet sie an einer Dissertation zu dem Thema und führt 2022 den „Offtober“ mit wissenschaftlicher Begleitung und ihrem Offline Institut durch.
Linda Meixner ist eine Macherin. Jetzt will sie gemeinsam mit der Umit Tirol herausfinden, ob man im Urlaub einen besseren Umgang mit dem Smartphone lernen kann.

Gargellen liegt in einer Bilderbuchlandschaft im Montafon in Vorarlberg - am Ende eines Tales auf über 1400 Metern – inmitten von noch höheren Bergen, Wäldern, Wiesen und kleinen Bächen. Offline ist man hier jedenfalls, wenn man analog FM4 hören will.

Das Dorf hat gut 100 Einwohner – alle kennen sich. Gemeinsam haben sie sich auf das offline Dorf vorbereitet: Vier Hotelbetriebe, die Bergbahnen, der Dorfladen, die Pizzeria und einige Private. Gemeinsam mit Linda Meixner - sie ist sowas wie die Bürgermeisterin vom Offline Dorf. „Ich habe schon gehört, dass es schwitzige Hände macht, wenn man nur dran denkt, dass man fünf Tage offline geht. Und dass das einen sehr nervös macht,“ grinst sie.

Analoges Kennenlernen

Beim Abendessen lernt man sich langsam kennen. Niemand hat ein Smartphone. Eine völlig unübliche Situation, meint der Journalist und Content Creator Fabian Hart. „Einer googelt immer, einer checkt immer eine Nachricht, einer ist immer auf Instagram.“ Er freut sich, dass er analoges Kennenlernen „noch drauf hat“, wie er sagt. Auch die Psychologin und Autorin Anna Miller kann dem viel abgewinnen. „Da war keine zweite Ebene oder keine zweite Welt, die auch noch lockte.“ Und der Illustrator und Student Etienne Roger war überrascht, wie leicht dieses Kennenlernen war: „Wir haben einfach eine Konversation gestartet, egal über was und das hat alles super funktioniert.“

Abschalten und Aufladen ist das Motto der Woche. Das Programm in den folgenden Tagen ist ein traumhafter Aktivurlaub. Yoga im Hochalpinen Gelände, Wandern – auch im Regen, Pilze sammeln, im Holz arbeiten. Die Komfortzone wird am Klettersteig verlassen – oder beim Eisbaden. Dort erklärt Josef Köberl, der Weltrekordhalter im Eischwimmen, wie wichtig es ist, langsam ins Wasser zu gehen. Ist man zu schnell, kann man das Bewusstsein verlieren und dann sei man wirklich off-line. Alle lachen.

Keine dieser Aktivitäten ist zufällig, erklärt Linda Meixner: „Bewegung wird tatsächlich gesehen als Art präventive Maßnahme oder als Schutz gegenüber dieser Abhängigkeit. Eine Entspannung und Achtsamkeit in der Gruppe wirkt noch besser als nur der Parameter Bewegung allein. Und aus dem Offtober ging zum Beispiel auch hervor, dass viele wieder kreativ geworden sind, also dass es auch sehr befriedigend ist, wieder was man mit der Hände zu tun, was auch immer das ist, sei das jetzt, Holzhacken oder Malen.“

Für einige Teilnehmer:innen war es befreiend, nicht ständig an mögliche Instastories denken zu müssen. „Es war eine absolute Entspannung und Entkrampfung. Nicht diesen Moment suchen zu müssen oder zu checken, wo kommt gerade das Licht her und was will ich abbilden?“, meint Fabian Hart.

Content Creatorin Adrienne Koleszár hat rund 500.000 Follower auf Insta und ist durchschnittlich 14 Stunden online. Sie bemerkte zwar keine Entzugserscheinungen. „Ich habe mich aber wirklich extrem mit mir selbst konfrontiert gefühlt und habe gemerkt, bei jeder Langeweile, jedem ‚Ich geh jetzt mal an mein Handy, weil ich keinen Bock mehr habe auf Interaktion, auf echte Interaktion, reale Interaktion habe‘ - hab ich mir die Süßigkeiten in den Mund gesteckt.“ Dennoch sagt sie am Ende der fünf Tage: „Ich muss ehrlich gestehen, mir hat gar nichts gefehlt. Ich habe keine Sekunde dieses Telefon vermisst.“

Die Einheimischen

Die Einheimischen, die auch mit offline gingen, wurden nicht täglich mit bestem Programm abgelenkt. Für die war der Verzicht auf das Smartphone schwieriger. Etwa für Amina Harich vom Dorfladen. Sie hat gegen Saison Ende weniger im Laden zu tun und würde in dieser Zeit sonst viel Onlineshoppen bzw. nach Lebensmitteln googeln oder nach Dingen, die sie bestellen könnte. Ihre Freundin Johanna Rhomberg führt gemeinsam mit ihrer Mutter das Hotel Madrisa. Johanna ist im Schnitt zwei Stunden täglich privat online. „Tiktok ist natürlich lustig. Ich denke, es ist einfach die Eigenbespaßung."
Auch Johanna hat fünf Tage auf ihr Smartphone verzichtet – Das Offline sein hat die 23-Jährige letztlich genossen.
"Am Abend, wen man zusammen gehockt ist, hat man viel tiefgründigere Gespräche gehabt. Man hat auch richtig gemerkt, dass sich ein Mensch interessiert, ohne dass er 20 Mal aufs Handy schaut, wenn man was erzählt. Das hat eh niemand können. Und man hat einfach gemerkt, dass die Kommunikation auch viel besser ist.“

Am letzten Abend sitzt man beim Lagerfeuer – mit Stockbrot und Würstchen. Der Vorarlberger Musiker Prinz Grizzley, spielt Gitarre und singt. Und widmet einen Song den Influencer:innen. Und ihrem größten Albtraum - einem Stromausfall. „I can see Darkness.“

Veränderungen

Währenddessen werden Veränderungen ausgetauscht. Etienne, der Illustrator, hat wieder Lust, ganz eigene Entwürfe zu zeichnen. Vorher habe er sich viel von Social Media inspirieren lassen: „und hatte dann nicht mehr die Kraft, für mich selbst zu malen, weil ich nicht mehr die Geduld hatte und das Commitment selber für mich ein Bild fertigzustellen. Genau das habe ich wieder gelernt, dass ich da jetzt wirklich das, was ich sehe, versuche einfach aufs Blatt Papier zu übertragen.“

Die Sportwissenschaftlerin Anna Kogler meint: „Ich möchte in Zukunft nicht mehr so viel Zeit in der virtuellen Welt verbringen, sondern wieder sozusagen back to the roots gehen. Mich mit echten Menschen connecten. Und ich habe auch gespürt, dass während dieser Zeit das Zwischenmenschliche ganz gut funktionieren kann, wenn die technischen Möglichkeiten nicht gegeben sind.“

Nach den fünf Tagen im Offline-Dorf werden die Teilnehmer:innen noch weiter ihren digitalen Umgang beobachten, aufzeichnen und Fragebögen ausfüllen. Zehn Wochen dauert das Projekt. Dann werden sich die Ergebnisse zeigen. Für alle Fälle gibt es dann das „Offline Dorf 2024“ in Gargellen.

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