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„True Detective“, Staffel 4: Die Zeit ist noch immer ein flacher Kreis

Einst hat diese Serie Streaming-Geschichte geschrieben, danach waren die Reaktionen kontrovers. Jetzt kehrt die düstere Krimianthologie zurück - und positioniert sich deutlich feministisch.

Von Christian Fuchs

Erinnert sich noch jemand an den Yellow King? Oder an das geheimnisvolle Wort Carcosa, das eine unheimliche Schreckensstadt symbolisiert? Im Frühjahr 2014 geisterten diese Begriffe plötzlich in meinem Freundeskreis herum. Wir durchforsteten das Internet nach Informationen. Besorgten uns Bücher legendärer Horrorschreiber wie Ambrose Bierce oder H.P. Lovecraft, zu denen die Spur führte. Auch der Autor Thomas Ligotti, berüchtigt wegen seiner apokalyptischen und misanthropischen Traktate, machte in abgebrühteren Kreisen die Runde.

„True Detective“ im Laufe der Jahre

Mit der nihilistischen Krimianthologie „True Detective“ hat der Sender HBO ein bisschen Seriengeschichte geschrieben.

Die erste Staffel, rund um das ungleiche Copduo Matthew McConaughey und Woody Harrelson, erreichte 2014 tatsächlich Kultstatus. Als Serienerfinder Nic Pizzolatto 2015 eine höchst konträre zweite und auch eine mäßig erfolgreiche dritte Staffel folgen ließ, hagelte es Kritik.

Jetzt kehrt „True Detective“ via HBO/SKY nach langer Pause zurück. Die mexikanische Regisseurin und Autorin Issa Lopez zeichnet für das Comeback verantwortlich, die Serie präsentiert sich gleichzeitig feministisch und wieder gruselig wie zu ihren Anfängen.

Der Grund für diese Recherche im Reich der Horror-Literatur war eine Fernsehserie. Und zwar nicht irgendeine. „True Detective“, produziert von HBO, entpuppte sich damals nicht nur formal und schauspielerisch als Show-Ereignis des Jahres. Die Thriller-Anthologie, erdacht vom Ex-Hochschullehrer Nic Pizzolatto, verpackte in einen verwinkelten Serienkiller-Plot ein ganzes Sammelsurium an mythischen und morbiden Verweisen.

Buchstäblich verkörpert wurde das finstere Referenzsystem durch eine der beiden Hauptfiguren. Rust Cohle, ein von Weltekel zerfressener Cop, erwies sich als Rockstar unten den kaputten Polizisten. Mit seinen existentialistischen Sprüchen erinnerte er eher an Ian Curtis, Jim Morrison oder den frühen Nick Cave als einen TV-Gesetzeshüter. Auch wenn Rust, charismatisch von Matthew McConaughey gespielt, seinen Partner Marty Hart (Woody Harrelson) mit seinen Philosophien oft an den Rand des Nervenzusammenbruchs treibt, wir „True Detective“-Fans verklärten ihn 2014 zum Antihelden des Jahres.

Leben und Sterben in L.A.

Ein Jahr später fühlen sich viele Anhänger:innen der sinistren Serien-Glaubensgemeinschaft vor den Kopf gestoßen. In der zweiten „True Detective“-Staffel verlässt Nic Pizzolatto das sumpfige Louisiana und seine rätselhaften Southern-Gothic-Abgründe. Die von Presse und Publikum heftig kritisierten Folgen kreisen um eine Gruppe psychisch angekratzter Kriminalbeamte im sonnenverbrannten Los Angeles, im Mittelpunkt Colin Farrell als manischer Prügelbulle Ray Velcoro.

Für die Mehrheit der Zuschauer:innen bietet die komplizierte Story kaum Anknüpfungspunkte, viele steigen entnervt noch vor dem Finale aus. Dabei ist die Staffel eine einzige Verbeugung vor dem L.A. Noir von hartgesottenen Autoren wie James Ellroy, inklusive einer überlangen Schlußepisode, die zu den Highlights der jüngeren TV-Geschichte zählt. Wie Nic Pizzolatto darin seine männlichen Protagonisten pathetisch und blutig in die Hölle fahren lässt, geht unter die Haut.

True Detective

Lacey Terrel / HBO

Colin Farrell und Rachel McAdams in Staffel 2 von „True Detective“

Bei all dem heftigen Gegenwind, der das Phänomen „True Detective“ danach umweht, glaubt eigentlich niemand mehr ernsthaft an eine Fortsetzung. Trotzdem verlautbart HBO irgendwann eine dritte Staffel aus der Feder von Pizzolatto. Ein afroamerikanischer Cop (Oscar-Preisträger Mahershala Ali) schlittert darin mit seinem weißen Partner (Stephen Dorff) in einen scheinbar unauflösbaren Fall. Zwei Kinder verschwinden eines Tages spurlos in Fayetteville, Arkansas, die Indizien deuten auf ein rituelles Verbrechen hin. Tatverdächtige bieten sich in der trostlosen Umgebung etliche an, es mangelt aber zunächst an jeglichen Beweisen.

Auf der menschlichen Ebene kann Nic Pizzolato bei dieser Tätersuche gewaltig punkten: Die irreale Düsternis der ersten Staffel erreichen die Abenteuer von Wayne und Roland, trotz Topschauspiel und packender visuellen Umsetzung, letztlich nicht. "Ist das „True Detective" in der Light-Version?“, fragte sich der Schreiber dieser Zeilen damals, so blutarm (im wahrsten Sinn des Wortes) und bemüht subtil wirkt die Mördersuche. HBO und Nic Pizzolato gehen, nach einer langen Nachdenkphase, schließlich getrennte Wege.

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Zurück zu den Mystery-Wurzeln

Genau eine Dekade nach dem Beginn der Serie feiert „True Detective“ nun ein Comeback. Der allererste Eindruck: Der Vorspann stimmt jedenfalls. Für eingefleischte Anhänger:innen der Anthologie ist die Titelsequenz bereits die halbe Miete. Hochkünstlerisch, stylish und gloomy zugleich, so präsentierte sich das Intro 2014, als die erste Staffel online ging. Damals untermalte melancholischer Folkrock von The Handsome Family auf perfekte Weise die animierten Bilder.

Zehn Jahre später singt nun ein amerikanischer Emo-Pop-Superstar zu dunklen Sounds über Freund:innen, die begraben werden. „Billie Eilish war eine meiner Inspirationen“, sagt Issa Lopez. Die mexikanische Regisseurin und Autorin, die von HBO auserwählt wurde „True Detective“ zu retten, schwärmt von schattseitigen Tracks wie „Bury A Stranger“, die ihren Schreibprozess begleiteten.

Während der einstige Showrunner Pizzolato zuletzt eher vom bodenständigen Schrecken des Alterns und dazugehöriger Demenz-Erkrankungen erzählte, bringt Issa Lopez „True Detective“ wie gewünscht zu den Wurzeln zurück – und erneuert gleichzeitig die Anthologie-Serie vollständig. Statt grimmigen männlichen Polizisten, die wie McConaughey und Harrelson in Season One verschwitzt in den Südstaaten herumkurven, setzt sie auf weibliche Cops – und Lopez bringt die Temperaturen weit unter den Gefrierpunkt.

„True Detective: Night Country“ spielt in einem winzigen Kaff in Alaska, wo rätselhafte und schreckliche Dinge passieren. Eine indigene Umweltaktivistin wird ermordet, ein ganzes Wissenschafterteam verschwindet spurlos aus einer isolierten Forschungsstation, die wohl nicht umsonst an John Carpenters eisigen Schocker „The Thing“ denken lässt. Alle hadern hier mit miteinander, Verbitterung und Einsamkeit nagen an den Menschen in Ennis genauso wie die Minusgrade.

Dass als Einflussquelle auch immer wieder der beklemmende Klassiker „The Silence of The Lambs“ genannt wird, hat mit einer ganz bestimmten Hauptdarstellerin zu tun. Die extrem souveräne New-Hollywood-Königin Jodie Foster brilliert in einem ambivalenten Part. Frustriert, abgeklärt und schroff gegenüber ihrer Umwelt wirkt Detective Danvers am Anfang, eine klassische Noir-Figur in einem toxischen Setting. Fast schon erwartet man pessimistische Trademark-Sätze wie „Time is a flat circle“ aus ihrem Mund, die fallen dann aber in einem anderen Kontext.

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Gothic-Touch und female gaze

Übertroffen wird Fosters Figur punkto mentaler Unberechenbarkeit nur von ihrer Kollegin, Kali Reiss ist als Detective Navarro eine Sensation. Wahrscheinlich stehen Blockbuster-Produzent:innen schon Schlange, um die Native American Ex-Boxerin mit Kap Verdischen Wurzeln in ihre Action-Franchises zu integrieren.

Wenn die beiden ungleichen Partnerinnen durch die verschneite Wildnis fahren, existentialistische Dialoge führen und die Polarnacht alles in Schwärze taucht, erinnert „Night Country“ nicht nur an den doomigen Spirit der legendärsten „True Detective“-Momente. Die neue Staffel wird ihrem Untertitel gerecht, entwickelt sich zu einer Reise in ein Land der menschlichen Finsternis, mehr in der Nähe gespenstischer Horrorfilme, als an einer Krimierzählung.

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Michele K. Short / HBO

Issa Lopez, die tatsächlich im Alleingang die ganze Staffel schrieb und inszenierte, verfügt über ein starkes Gespür für Atmosphäre und Suspense, ein Gothic-Touch verbindet sich bei ihr aber mit einem ausgeprägten feministischen Blickwinkel. Auch wenn die dazugehörigen Parts mit Veteranen (John Hawke) und Newcomern (Finn Benett) fabelhaft besetzt sind: Männer sind in dieser „True Detective“-Staffel primär für Handwerks-Dienste, berufliche Unterstützung und Spannungsabbau-Sex zwischendurch gefragt.

Umgekehrt tauchen die Episoden nicht nur tief in den schwierigen Alltag der indigenen Frauen ein, es gibt viele Details, in denen ein eventueller female gaze aufflackert. Beispielsweise sehen in der tristen Kleinstadt Ennis, Alaska, alle Menschen äußerst authentisch aus, Issa Lopez punktet mit rauen Working-Class-Charakteren, aalglatte Hollywood-Models hatten beim Casting wohl keinerlei Chancen. Grantelnde Online-Stimmen, die hier bloß Identitätspolitik nach Vorschrift sehen, unterschätzen den Zugang von Issa Lopez: wie ihr Vorgänger Nic Pizzolato stellt sie emotionale Glaubwürdigkeit über alles in den sechs Episoden.

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Ein Hauch Kritik

Okay, ein Hauch von Kritik: Vielleicht packt „True Detective: Night Country“ fast zu viel in diese Staffel hinein, Öko-Warnungen, Klimawandel-Proteste, Gender-Thematiken kollidieren mit einer Geballtheit menschlicher Tragödien und kriminalpolizeilicher Twists, die ihresgleichen sucht. Langweilig wird einem dafür da draußen in der Polarnacht nie. Am Schluß, so viel sei verraten, ist man einerseits von all der Tragik leicht zermalmt. Auf der anderen Seite aber euphorisiert, weil „True Detective“ wieder lebt. Auf emanzipatorische und nihilistische Weise zugleich. Was für ein Comeback.

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