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FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Das Revier des Schweinehundes

FM4 Im Viertel #11: Die Wiener Dialekt-Rapper Kreiml & Samurai zeigen ihr Grätzl, die Wienzeile. Beim Gassigehen am Naschmarkt erfahren wir, wie der Schweinehund zwischen Touri-Fressmeile und Wettcafé herumstreunt, warum das Tschocherl Schmauswaberl prädestiniert für den Totalabsturz ist und dass Samurai ein geheimes Doppelleben als Opernsänger führt.

Von Florian Wörgötter

Die Wiener Mundart-Rapper Kreiml und Samurai jagen den Schweinehund wieder durch die Gassen. Auf ihrem eben erschienenen vierten Album „Auf olle 4re“ verbreiten die Apologeten der Abrissbirne erneut ihre kulturkritische Philosophie des Untiers.

Kurz gesagt: Optimiere dich nicht selbst, optimiere deinen Pegel. Akzeptiere deine Laster als deine Stärke und du wirst auch erfolglos erfolgreich sein. Lass deinen Schweinehund von der Leine, denn erleuchtet wirst du erst, wenn zur Sperrstunde im Beisl die Lichter angehen. Also: Das perfekte Auffangprogramm für alle, die an Kollegahs „Alpha-Mentoring-Programm" gescheitert sind.

Heute besuchen wir das Revier des Schweinehundes: die Wienzeile. Zwischen viertem und sechstem Wiener Gemeindebezirk, wo der Wienfluss unterirdisch fließt und der Naschmarkt die Touristen anzieht, haben Kreiml & Samurai mit ihrer alten Crew „Wienzeile“ zum Rap gefunden. Hier haben sie den Schweinehund aus dem Schweiß der Bong und des Bieres destilliert. Hier führen sie ihr Wappentier regelmäßig Gassi – in Tschocherln, ins Wettcafè oder auf die Couch.

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Wettpate und Opernsänger

Der größengewachsene Kreiml (im schwarzen Parka) ist der Hausherr hier am Naschmarkt. Schon als Jugendlicher bezieht er seine eigene Wohnung auf der Rechten Wienzeile, dem südlichen Ufer des auf 2,1 Kilometer zugedeckelten Wienflusses. „Die Wände der schlichten Gemeindebauten auf der Rechten Wienzeile sind vielleicht dünner, dafür ist der Ausblick auf die Linke Wienzeile schöner.“ Gegenüber reihen sich die Jugendstil-Prachtbauten des Otto Wagner, der nach der Stilllegung des Wienflusses um die Wende zum 20. Jahrhundert ansetzte, die Wienzeile zum Prachtboulevard umzubauen.

Der zweite Mann am Mikrofon heißt Samurai (Im Ledermantel mit Fellkragen). Als ein Mozart-Perücken-Träger eines der Opernkonzerte für Touristen bewirbt, offenbart der geborene Favoritener sein Doppelleben: Als studierter Opernsänger habe er selbst schon auf solchen Konzerten Arien wie „Figaros Hochzeit“ gesungen. „Stille Wasser sind tief, doch still bin ich nicht, tiaf bin ich trotzdem“, schmunzelt Samurai. „Ich höre Klassik genauso wie Freejazz und den tiafsten Wiener Rap.“ Denn: „In jedem Stück Scheiße steckt auch Schönheit, wenn man es vom richtigen Winkel betrachtet.“

Ob ihm die Operette dauerhaft doch zu hart war, dass er schlussendlich beim Rap gelandet ist? „Operngesang ist ein Hochleistungssport, der mich als Sänger am meisten herausfordert, den du aber ständig trainieren musst. Da war ich dann doch dem Schweinehund näher“, gesteht Samurai. Außerdem könne er mit der Bussi-Bussi-Gesellschaft nichts anfangen. Doch es sei ein Klischee, dass Opernsänger alle Schnösel seien, die nur im Frack gut schlafen. Auch „oage Leit“ wie Schwermetaller hätten mit ihm studiert.

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

Ob auch Kreiml versteckte Talente verbirgt? „Ja, aber die sind weniger für FM4 bestimmt.“ Sondern? „Für ,ATV Die Reportage’.“ Kreiml wäre ein authentischer Protagonist für einen Wettcafé-Report, wo er sich regelmäßig „einen Hundskick spannender macht“, wenn er „einen Zehner auf Marseille“ setzt.

Wir betreten das Wettcafé am Anfang der Wienzeile, ein selbstbetiteltes „Kompetenzzentrum in Sachen Sportwetten". Leider werden wir beim Zücken des FM4 Mikrofons sofort vom Platz verwiesen („Keine Kameras, keine Videos!“), daher erfahren wir auch keine weiteren Insidertipps („Ma hot’s ned leicht, owa leicht hot’s an“). Was man aber mit einem Einsatz von 10 Euro gewinnt? „Meistens nix.“ Samurai ergänzt: "S’Glück is a Vogerl, nimm a Puffn, schiaß in’d Luft“.

Champagnerkraut und Salonbeuschl

An der Pforte zum Naschmarkt bruzzelt noch immer das Phantom-Fett des abgerissenen Würstelstands. Heute eröffnen Gastro-Ketten wie Rinderwahn und Nordsee den Fressreigen, denn seit 2001 wurden viele Marktstände zu Gastronomiebetrieben umgebaut. Die Kellner stehen Spalier und verführen flanierende Gäste zum Speisen wie in Lignano. „Der Naschmarkt hat sich zur überteuerten Touri- und Fressmeile entwickelt“, kritisiert Kreiml den größten innerstädtischen Markt der Stadt (Fläche: 2,3 Hektar). „Seitdem kaufe ich mein Gemüse nur mehr im Supermarkt“.

Die Wienzeile klingt wie ein verkleideter Mozart, der auf Wienerisch ein chinesisches Volkslied über einen Trapbeat singt.

Nachdem auch der „Sauerkraut-Pepi" sein „Champagnerkraut“ aufgegeben hat, sei lediglich noch der Fleischer Özer Kasabi empfehlenswert, denn der biete neben freundlicher Beratung auch Herz und Nieren vom Lamm für ein originales „Wiener Salonbeuschl“. Doch Vorsicht beim Nachahmen zuhause: „Die Innereien stinken ordentlich und wennst sie aufschneidest, fließt der Saft aus den Eingeweiden“, warnt der junge Fleischer aus seinem Fenster. „Deswegen haben wir’s auch beim Nachbarn gekocht“, lacht Samurai.

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

Beim Souvenir-Stand amüsieren sich die beiden über eine goldene Leggings, auf der großflächig „Der Kuss“ von Gustav Klimt gedruckt ist („Pure Seide für 39 Euro“). Samurais logischer Schluss: „Wien wird ja regelmäßig zur lebenswertesten Stadt gewählt, aber auch zu einer der unfreundlichsten Städte – vielleicht, weil der Wiener verhindern möchte, dass aus Wien eine einzige Klimt-Leggings wird.“

Wien darf nicht Leggings werden

Wie schon mit Bruder im Geiste Monobrother im Song „Wiener“ abgehandelt, sei der Wiener zwar „ein Skeptiker, ein Grantscherm, ein schroffes Gebirge, im Endeffekt aber eh ein ganz ein Lieber“. Doch aus Klischees wie diesen machen die beiden lieber einen „Leberkas wie aus einem Lipizzaner“, dem Ur-Klischee der kaiserlich-königlichen Hauptstadt. Denn in Wahrheit ist eh nichts so, wie es scheint.

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

Nachdem Kreiml & Samurai bereits in zwei Songs dem ehemaligen Wiener Bürgermeister Karl Lueger (1897 bis 1910) sein antisemitisches Haupt abgeschlagen haben: Welchen verdienten Ehrenbürger*innen würden sie heute ein Denkmal setzen? „Niemandem. Statt einer Statue würde ich lieber ein leistbares Wohnhaus errichten“, kontert Samurai. „Wenn die Einwohner immer weiter an den Stadtrand verdrängt werden, weil sich das Wohnen in den Innenbezirken keiner mehr leisten kann, dann verkommt die Stadt – und so auch der Naschmarkt – zum Feriendomizil.“ Auch hier am Naschmarkt sei es heute kaum noch möglich, eine leistbare Wohnung zu finden, meint Kreiml.

Boulevard of Broken Dreams

Naturgemäß befinden sich die Wohlfühlorte des Schweinehundes abseits der Naschmeile: Im benachbarten „Xeno" in der Schleifmühlgasse, wo ein Aufkleber warnt, „Wien darf nicht Österreich werden“; im „Café U1“ in der Taubstummengasse, wo witzig bekritzelte Kreidetafeln die Beislgeher charmanter anlocken als die Naschmarkt-Kellner; oder im „Gasthaus Rohrböck“ am Rilkeplatz, wo das Gulasch noch günstig und gut ist. „Der Schweinehund braucht wenig Auslauf. Zimmer, Kuchl, Kabinett auf Beislgröße reichen.“

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

Die letzte Runde führt uns ins „Schmauswaberl“ auf Höhe des Parkplatzes, wo am Samstag der bei Touristen beliebte Flohmarkt seine Tücher ausbreitet. „Das Mysteriöse am Schmauswaberl: Du vergisst sofort Zeit und Raum, wenn du hier bist“, analysiert Samurai das Paralleluniversum der blutroten Budel mit Buddhastatue und He-Man-Figur.

Baucherl, Rüscherl und Gin Tonic kosten mit Euro 3,80 gleich viel wie ein Krügerl Cerna Hora. Die digitale Jukebox spielt gegen eine Münze alles zwischen Black Uhuru, Pink Floyd und Dr. Alban. An der Wand prangen Kultfilm-Plakate vom Wiener-Strizzi-Streifen „Exit... nur keine Panik“ (1980) und Franz Antels Erotik-Klamauk „Frau Wirtin hat auch einen Grafen“ (1968).

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

Die Zurück in die Zua-kunft Tour:

28.02. PPC Graz
29.02. Kulturhofkeller Villach
05.03. Posthof Linz
06.03. Warehouse St. Pölten
07.03. Rockhouse Salzburg
12.03. Music Hall Innsbruck
13.03. Carinisaal Lustenau
14.03. Backstage München
21.03. Gasometer Wien
26.03. Club Stereo Nürnberg
27.03. Soho Stage Augsburg
03.04. Musik & Frieden Berlin
04.04. Häkken Hamburg

Seitdem das seit 1969 existierende Tschocherl vor einem Jahr neu übernommen worden ist, verlaufen sich auch immer wieder Hipster in das unangepasste Auffangbecken diverser Grenzgänger, weil Tschocherl-Luft-Tschiggen „mittlerweile cool“ geworden ist. „Alle Menschen hier sind Unikate“, sagt Samurai. „So ist das, lauter Enfant Terribles, höflich gesagt“, ergänzt unser Tischnachbar, der sich spontan ins Gespräch einschaltet und somit bestätigt, dass hier jeder mit jedem ins Plaudern kommt.

Ein Bierchen und eine Runde Honig-Sliwowitz später erzählen Kreiml & Samurai, dass sie hier mit dem kongenialen Voodoo Jürgens nach ein paar Schnapserln die Idee ihres gemeinsamen Songs „3 Nagetiere“ geboren haben, eine Hommage an ihre tragisch verendeten Haustiere Charlie, Flecki und Ramsine. Am Ende überlebt eben nur ein Viech die unheilvollen Strapazen des Lebens: der nicht unterzukriegende Schweinehund – und der streunt auch heute noch weiter durch die Nacht.

FM4 Im Viertel - Kreiml & Samurai auf der Wienzeile

Florian Wörgötter

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