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Tanzende, junge Männer

The Blaze

The Blaze machen Tanzmusik zum Weinen

Das französische Duo im Interview über Gefühle, ihre außergewöhnlichen Musikvideos und Männer, die weinen. Außerdem: Warum es cool ist, romantisch zu sein.

Von Felix Diewald

Kurz nach Mitternacht in der Zénith Arena de Lille: Auf der Bühne steht eine riesige, leuchtende LED-Box und die Menschen davor wollen dringend, dass sie aufgeht. Tut sie dann auch. Und es ist gleich gut.

Da stehen zwei junge Männer, Cousins: Guillaume und Jonathan Alric. Sie haben sich dem Publikum seitlich abgewandt und über Synthesizer und Mikrofone hinweg nur Augen für einander. Als würden sie gerade einen Podcast aufnehmen oder so. „Wir versuchen in unserer Blase zu bleiben“, sagt Guillaume ein paar Stunden vorher im Interview. Und: „Wenn ich aufgeregt bin, schaue ich Jonathan in die Augen und es geht wieder.“

Dass sie nervös sind, merkt man den beiden beim Auftritt aber gar nicht an. Denn die Show von The Blaze ist eine einzige audiovisuelle Überwältigung: Auf riesigen Screens laufen epische Landschaften vorbei, während sich Lieder fünf, sechs Minuten lang immer weiter, weiter, weiter steigern. Dazu pulsierende Drums und die von beiden selbst eingesungenen Vocals, in denen mehr Sehnsucht steckt als in deinen alten Whatsapp-Chatverläufen. Das klingt sehr kitschig. Soll es, sagen The Blaze, auch sein. Aber dazu später mehr.

The Blaze

Paul Rousteau

Emotionale Tanzmusik

Wenn du The Blaze mit anderen Elektronik-Franzosen vergleichen willst: Ihre Musik knallt weniger als die von Justice und ist uncooler als die von Daft Punk.

The Blaze machen Tanzmusik, aber in einer Form, die mehr auf Emotion als auf körperliche Bewegung ausgerichtet ist. Guillaume: „Bei uns kommt das Gefühl von innen.“

The Blaze haben viel vom alten, souligen 90er-House. Und sie klingen angenehm unsauber im Vergleich zu modernem Pop. Guillaume produzierte vor The Blaze vor allem Dub, eine elektronische Spielart des Reggae. Das hört man. Der Bass hat eine Klangfarbe wie die Rastafari-Flagge, rot-gelb-grün, und klingt nach den feuchten Kellerstudios auf Jamaika. Der internationale Erfolg von The Blaze hat aber nicht nur mit dem Sound zu tun: Er beruht mindestens zur Hälfte auf ihren Musikvideos.

Nachdem The Blaze 2017 ihre erste EP veröffentlichen, werden sie mit einem Video schlagartig bekannt. „Virile“, gedreht um 100 Euro. Jonathan, Guillaumes Bruder und zweite Hälfte von The Blaze, filmt zwei Freunde in einem Brüsseler Hochhaus. Sie kiffen, tanzen, kämpfen und, Höhepunkt, schmusen.

Jonathan hat eine Filmschule in Paris besucht und filmt schlicht, nüchtern. Es entsteht eine Intimität, die alltäglichen, gewöhnlichen Szenen gehörig viel Drama verleiht. „Mir sind klassische Musikvideos mit Autos und Frauen zu blöd“, sagt Jonathan. „Wir casten mittlerweile sehr lange und versuchen, die Schauspieler vor der Kamera nackt zu machen. Damit sie uns kleine, echte Momente geben.“ Als nächstes veröffentlichen die Alric-Cousins ein Video, das sie bis zum Filmfestival nach Cannes bringt: „Territory“.

Mehr Musikfilm als -video

Gedreht in Algerien, geht es in „Territory“ vordergründig um einen jungen Franzosen, der nach langer Zeit seine Familie in Afrika wiedersieht. „Der Moment, in dem der Protagonist zu weinen beginnt“, sagt Jonathan, „war eine dieser echten Emotionen, die ich will.“

In einer Szene beginnt der junge Mann im Rhythmus des Beats zum Schattenboxen – eine ikonische Szene, die beim Konzert in Lille von mehreren Menschen im Publikum nachgemacht wird. 2017 gewinnt „Territory“ als erstes Musikvideo überhaupt einen Cannes Lion, den bekanntesten Werbefilmpreis der Welt. Es sei komisch, sagt die Jury, ein Video auszuzeichnen, das gar keine Werbung ist. Aber „Territory“ sei überwältigend gewesen.

The Blaze zeigen in ihren Videos junge Männer, die zerbrechlich, verwundbar und trotzdem einem sehr klassischen Männlichkeitsbild entsprechen. „Sich für seine Gefühle zu genieren ist Bullshit“, sagt Jonathan. „Das ist, was dich menschlich macht. Das musst du akzeptieren. Mehr noch: Trag’s nach außen, auf die Bühne, ins Licht.“

The Blaze

Paul Rousteau

„Der moderne Mann“, sagt Guillaume dazu, „weint, wenn er will, lächelt, wenn er will. Es geht darum, sich nicht für den zu schämen, der du bist.“

Als ich den beiden erzähle, dass ich als Romantiker mit Liebe zu schönen Momenten von Menschen oft als cheesy verarscht werde, geben sie mir, schöne Sache, Hoffnung: „Es ist cool, Romantiker zu sein!“, sagt Guillaume. „Du wirst dich erst mit deinen Emotionen wohlfühlen, wenn du deine eigene Empfindlichkeit akzeptierst.“

Siehe auch:
Melancholie der Bromance von Christian Pausch

Jonathan hat eine Handlungsanweisung für alle, die das noch nicht so gut können: „Geh ins Kino, schau dir deine Lieblingsfilme an, hör dir deine Lieblingssongs an. Immer, immer wieder. Und egal ob alleine in deinem Zimmer oder mit Freunden; ob um zwei in der Früh oder beim Sonnenuntergang – akzeptiere deine Gefühle. Weine!“

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