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Donaufestival 2019: Lafawndah

David Višnjić

Paradise Now: So war das 1. Wochenende beim Donaufestival 2019

Utopien und Dystopien, Lafawndah, Holly Herndon, Gudrun Gut, Planningtorock und der auf die Bühne gebrachte Friday for Future namens „Paradise Now“ am ersten Wochenende des Donaufestivals 2019.

Von David Pfister und Katharina Seidler

Blicke in eine oftmals dystopische Zukunft, dominiert von künstlicher Intelligenz, Mathematik und Algorithmik, geben den Ton an in der zeitgenössischen Kunstarbeit zum Thema „New Society – Neue Gesellschaft“.

Der Brüsseler Choreograf Michiel Vandevelde bezieht sich in seinem Tanzspiel zum Leitmotiv „New Society“ auf das Jahr 1968 und dessen damalige Idee von der Revolution der Gesellschaft. Was kann aus den Ideen des Jahres 1968 für unsere gegenwärtige Situation nutzbar gemacht werden?

Donaufestival 2019 Paradise Now

David Višnjić

Mit 14 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren von der belgischen Theatergruppe fABULEUS inszeniert Vandevelde das Tanztheaterstück „Paradise Now“ des Living Theaters. Das Living Theater ist eine 1947 in New York gegründete anarchistisch-pazifistische Theater/Performance-Gruppe, die vor allem mit ihrem aktionistischen Theaterprotest gegen den Vietnamkrieg und eben dem Stück „Paradise Now“ berühmt wurde.

In der neuen Inszenierung „Paradise Now 1968 – 2018“ wird die historische Vorlage um neue Themen wie etwa dem Massaker von Srebrenica, 9/11 oder Donald Trump bis in unsere Gegenwart erweitert. Die Jugendlichen stellen diese schauderhaften Ereignisse in einer körperlichen Raserei wunderschön dar. Die Höhepunkte von 50 Jahre elender Weltgeschichte und 50 Jahre Zeugnisse menschlichen Versagens im Tanz szenisch dargestellt von gesunder, kräftiger Jugend.

Donaufestival 2019 Paradise Now

David Višnjić

Und wenn nach über einer Stunde getanzten Untergangs der Punkt des Verzagens bei den ZuseherInnen eintritt, machen die Jugendlichen den Mund auf und formulieren ihre Forderungen und Hoffnungen an das Publikum. Und diese sind trotz besseres Wissens überwiegend optimistisch und fordern zum Handeln oder zumindest zum Widerstand auf. Ein auf die Bühne gebrachter Friday for Future. Unironisch und hoffnungsvoll. Und weil am Ende eben doch all you need is love gilt, löst sich das Theaterstück in einem sinnlichen Taumel der angedeuteten Zärtlichkeiten auf.

Donaufestival 2019 Paradise Now

David Višnjić

Identität im Synapsensturm

Im Stadtsaal stehen in der Samstagnacht zwei der spannendsten Künstlerinnen der aktuellen Pop-Avantgarde auf der Bühne, die in ihrer Musik beide, wenn auch mit unterschiedlichen Ansätzen, die Suche nach Identität in der Gegenwart verhandeln.

Die iranisch-ägyptische Musikerin Lafawndah erzählt auf ihrem kürzlich erschienenen Debütalbum „Ancestor Boy“ von der Suche nach Heimat als moderne Nomadin. Als Weltenbürgerin mit Lebens-(Zwischen)-Stationen in Paris, London, Mexiko City oder New York hat Yasmin Dubois, so ihr bürgerlicher Name, die unterschiedlichsten Kulturen in sich aufgesogen und verarbeitet diese nun zu einer futuristischen, globalen Popmusik, die keine Genre- und Ländergrenzen kennt. Tribalistische Rhythmen explodieren in Kombination mit verschrobener Warp-Records-Elektronik; kühlen, sinnlichen R’n’B schließt sie mit der Leidenschaft von Flamenco kurz.

Donaufestival 2019 Lafawndah

David Višnjić

Lafawndah

Vor allem live entwickelt die Musik von Lafawndah eine große Kraft, angetrieben durch tonnenschwere Bässe und die komplexen Rhythmen ihrer Bandkollegin am Schlagwerk. „Rhythmus ist das erste, was wir als Baby mitbekommen, noch bevor wir Melodien oder Harmonien wahrnehmen können“, erklärt Lafawndah den eindrücklichen Puls ihrer Songs. Live tritt sie selbst abwechselnd als Predigerin, Verführerin oder auch Flamencotänzerin auf. Die verschiedenen Einflüsse für ihre Kunst hat Lafawndah sich nicht über das Internet angeeignet, sondern sie durch ihr intensives Eintauchen in verschiedene Kulturen mit Wissen und Respekt zu einem eigenen, großen Ganzen verwoben. Die Weltenbürgerin findet ihre Identität im Vielen.

Donaufestival 2019 Holly Herndon

David Višnjić

Holly Herndon

Die Digitalkunst-Konzeptkünstlerin Holly Herndon präsentiert danach ihr kommendes Album „Proto“ erstmals live, in der bewährten, zauberhaften Kombination mit dem Medienkünstler Mat Dryhurst an Laptop und elektronischen Geräten und mit einem vierköpfigen Vocalensemble. Performance-Persönlichkeiten wie Colin Self begleiten Herndon ja seit einiger Zeit bei ihren Liveshows, in beigen Gewändern, in denen sie an die Ursprünge des Chors aus den griechischen Tragödien als dionysische Sing- und Tanz-Performer erinnern, die den digitalen Synapsensturm aus Holly Herndons Laptop und Vocodergeräten gleichwohl erden wie ihm als himmlischer Chor zur Seite stehen. Wer hat je solche herrlich außerweltlichen Harmonien gehört?

Teile ihrer neuen Platte ließ die Künstlerin von ihrer höchstpersönlich gezüchteten künstlichen Intelligenz namens Spawn programmieren, der sie zuvor ihre eigenen Kompositionstechniken beigebracht hatte. Trotz allem konzeptuellen Ansatz bleibt Holly Herndon mit ihrer Musik größtenteils dem Dancefloor verpflichtet. Der harte Beat verortet ihre Musik auf einem Nachbarplaneten von The Knife und der blauen Opernsängerin aus „Das 5. Element“.

Donaufestival 2019 Holly Herndon

David Višnjić

Zum besonders schönen Glitch in der Matrix wird eine Panne auf der Bühne, ein Song, der viel zu schnell abgespielt wird und in der Hälfte abgebrochen werden muss. Holly Herndon erklärt kichernd, dass sie auch nicht wisse, was passiert sei und das sie um Nachsicht für diese Uraufführung des neuen Materials bitte. Das zutiefst Menschliche, das ihrer Kunst trotz aller Faszination für AIs und Algorithmen innewohnt, bricht hier an die Oberfläche; man sieht es auch in jedem verschwörerischen Strahlen, das sich die Performenden auf der Bühne nach besonders gelungenen Songs zuwerfen (also oft). Großer Jubel.

Eine Ikone der deutschen Elektronik ist die Berlinerin Gudrun Gut. Alleine ihre Mitgliedschaft in gleich drei bedeutsamen Bands der deutschen Avantgarde-Achtziger, nämlich Einstürzende Neubauten, Mania D und vor allem Malaria!, sollte ja für jedes Poplexikon mehr als reichen. Damit aber noch lange nicht genug. In den Neunzigern gründete sie die Labels Moabit Records und Monika Enterprise und veröffentlichte Nineties-Indie-Stars wie Barbara Morgenstern, Quarks oder Contriva. Musikalisch erfand sie auf einer Reihe von Soloalben einen Trade Mark-Sound zwischen Elektropop, Techno und Wave. Oft karg und spröde, aber immer mit einem versteckten Sinn für die Romantik. Und wie man auch bei ihrem Donaufestival-Auftritt wieder entdecken konnte, in ihrer Musik wohnt auch immer sehr viel verkappte Psychedelik.

Donaufestival 2019: Gudrun Gut

David Višnjić

Gudrun Gut

Der repetitive Rausch des Krautrock wirft oft seinen Schatten auf Gudrun Gut. Empfohlen sei hier auch gleich ihr Album „500m“ gemeinsam mit Hans-Joachim Irmler von den verschrobenen Hamburger Krautrock-Giganten Faust. Ein souveränes Fingerschnippen war ihr Donaufestival-Auftritt. An einem Tisch voller kleiner Maschinen und ein paar flüchtigen und verfremdeten Gesangsmomenten absolvierte Gudrun Gut einen der anmutigsten und gelassensten Gigs, den das Donaufestival je gesehen hat.

Donaufestival 2019: Planningtorock

David Višnjić

Planningtorock

Zum Abschluss des ersten Festival-Wochenendes spielt Genderqueer-Ikone Jam Rostron als Planningtorock ein überraschend introspektives Konzert im Stadtsaal. Es ist ihr/sein bereits dritter Auftritt beim Donaufestival, das ihr aufgrund seiner (besonders früher) explizit queeren Ausrichtung schon immer viel bedeutet hat, wie Jam im Interview berichtet. Auch live auf der Bühne erzählt Planningtorock mit der ihr/ihm eigenen entwaffnenden Offenheit von der Bedeutung, die Musik im Leben einer aufwachsenden genderqueeren Person in der britischen Arbeiterklasse eingenommen hat.

Überraschend machen auch Jams eingängige Beats, der Puls ihrer/seiner Popsongs, an diesem Abend kurz Pause, wenn eine Gitarristin die Bühne betritt und zwei Lieder akustisch interpretiert werden. Wie so oft offenbart sich durch diese Reduktion auf das Wesentliche und das Offenlegen des Innersten eine umso berührendere Schönheit. Ein symbolhafter Auftritt von Planningtorock.

Am nächsten Wochenende geht’s weiter, mit etwa dem Techno-Romantiker Apparat oder der schwelgerischsten, herzerwärmendsten Indie-Band aller Zeiten, Flotation Toy Warning.

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