Vergiftete Blicke, Lügen und 70s-Feeling in der True-Crime-Serie „Die Schlange“
Von Philipp Emberger
„Bikini-Killer“, „Splitting-Killer“ oder einfach „Die Schlange“: Der gebürtige Franzose mit indisch-vietnamesischen Wurzeln Charles Sobhraj galt Ende der 1970er als einer der meistgesuchten Männer auf dem asiatischen Kontinent, in neun Ländern wurde gleichzeitig nach ihm gefahndet. Während der Hochphase der Reisebewegungen auf dem sogenannten „Hippie-Trail“ hat Sobhraj in Südostasien entlang der beliebten Reiseroute freiheitssuchende Tourist*innen mit seinem Charme und seiner Tätigkeit als Edelsteinhändler geködert und in seine Fänge gebracht. Dabei hatte er viele Spitznamen und noch mehr Identitäten.
Sobhraj, der sich in der Serie selbst Alain nennt, hat die Reisenden vergiftet, ausgeraubt und schließlich ihre Identität angenommen, um den protzigen Lebensstil von sich und seiner Freundin Monique fortführen zu können. Die achtteilige BBC-Miniserie „Die Schlange“ begibt sich nun auf die Spuren des Bikini-Killers und wirft einen vielschichtigen Blick auf den Täter und seine Opfer, deren Geschichte mit dem notwendigen Respekt und unter Wahrung des Opferschutzes erzählt wird.
Klar verteilte Rollen
Sobhrajs Widersacher in der Thriller-Serie ist der biedere niederländische Diplomat Herman Knippenberg. Zwei vermisste Niederländer*innen haben den Sekretär in der niederländischen Botschaft auf Sobhraj aufmerksam gemacht. An dieser Stelle ist „Die Schlange“ auch eine Geschichte über Behördenversagen, auf die Unterstützung der thailändischen Polizei kann sich Knippenberg nicht verlassen. Ebensowenig auf die der diplomatischen Elite. Der niederländische Botschafter vertreibt sich seine Zeit lieber auf dem Tennisplatz, als dem Neo-Detektiv Knippenberg bei der Suche nach den verschwundenen Staatsbürger*innen zu unterstützen.
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Die Schuldfrage braucht die Miniserie alleine aufgrund der historischen Fakten schon nicht zu stellen. Von Anfang an sind die Rollen klar verteilt und es ist offenkundig, wie die Geschichte ausgehen wird. Vielmehr konzentrieren sich die Macher*innen darauf, eine verführerische Stimmung zu kreieren und verschiedene Blickwinkel einzunehmen. Das gelingt leider nicht in allen Fällen, manche Motive der handelnden Personen bleiben etwas oberflächlich. Tiefgründiger wird es bei der Geschichte seiner kanadischen Freundin und Komplizin Monique. Sie lebt, ebenfalls unter falschem Namen, an seiner Seite, begleitet von Gewissensbissen.
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Der französische Schauspieler Tahar Rahim schlüpft in die Rolle des Serienmörders und macht das ziemlich überzeugend. Anfang des Jahres war Rahim bereits für einen Golden Globe in dem Guantanamo-Drama „The Mauritanian“ nominiert. Nun spielt er den charismatischen Sobhraj nuanciert und schafft Verständnis dafür, wie es dem Mann gelingen konnte, seine Opfer zu verführen. In den weiteren Hauptrollen sind die britischen Schauspieler*innen Jenna Coleman („Captain America: The First Avenger“) als elegante Freundin Monique und Billy Howle („Dunkirk“) als schwitzender und anzugtragender Diplomat Knippenberg zu sehen.
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Die achtteilige Miniserie „Die Schlange“ („The Serpent“) ist auf Netflix zu sehen.
70s all over
Die beiden Drehbuchautoren Richard Warlow und Toby Finlay erzählen in mehreren Zeitebenen von den realen Geschehnissen, fiktionalisieren und dramatisieren diese aber. Eine Zeitebene beschäftigt sich vor allem mit der Detektivarbeit Knippenbergs, während eine weitere Zeitebene in Flashbacks die Taten, denen Knippenberg auf der Spur ist, rekonstruiert.
„Die Schlange“ setzt in der Erzählung nicht auf Brutalität oder Blutrausch, sie erzeugt viel mehr ein beklemmendes Gefühl durch die schleichende und subtile Verführung durch Sobhraj. Die Miniserie räumt auch den Opfern und ihren Geschichten viel Zeit ein und erzählt von deren Suche nach Freiheit und der Sehnsucht, die viele dieser Menschen in den 70ern auf ihrem Weg nach Asien begleitet hat. Die Macher*innen versuchen so, auch eine Erklärung zu liefern, wieso die Reisenden in die giftigen Fänge der Schlange geraten konnten.
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Das vermittelte (Urlaubs-)feeling der Serie gehört zu den großen Stärken. Hinter den malerischen Landschaftsaufnahmen lauert aber stets auch das Grauen und das nächste Verbrechen des Bikini-Killers. Verstärkt wird die betrügerische Stimmung musikalisch durch französische Chansons und optisch durch einen an die 70er-Jahre angelehnten, körnigen Look. Am Ende ergibt das eine an manchen Stellen zwar etwas lange, aber durchaus verführerische True-Crime-Serie.
Publiziert am 06.04.2021