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Marie Kreutzer über ihren neuen Film „Der Boden unter den Füßen“

Zwischen Psychatrie und Conference-Call: Das Drama „Der Boden unter den Füßen“ eröffnet die Diagonale 2019. Im Interview erzählt Drehbuchautorin und Regisseurin Marie Kreutzer über autobiografische Einflüsse beim Filmemachen, Recherchen auf der Psychiatrie und Alfred Hitchcock.

Von Pia Reiser

Von zwei unterschiedlichen Schwestern (Valerie Pachner, Pia Hierzegger), von einer psychischen Erkrankung und von Leistungsdruck und Selbstoptimierung erzählt Marie Kreutzer in ihrem neuen Film „Der Boden unter den Füßen“. Nach dem Selbstmordversuch ihrer psychisch kranken Schwester Conny gerät das Leben von Unternehmensberaterin Lola aus den Fugen. Eine Verunsicherung schleicht sich ein. Das Drama ist bereits bei der Berlinale im Wettbewerb gelaufen und ist der Eröffnungsfilm der Diagonale. Im Interview erzählt Drehbuchautorin und Regisseurin Marie Kreutzer über autobiografische Einflüsse, Recherche auf der Psychiatrie und Alfred Hitchcock.

Pia Reiser: Bei deinem letzten Kinofilm „Was hat uns bloß so ruiniert" hat man sich gut vorstellen können, woher deine Idee gekommen ist, sich in einem Film mit dem Milieu der Bobo-Eltern zu beschäftigen. Du hast eine Tochter und hast damals auch erzählt, dass du Gespräche am Spielplatz mitnotiert hast. Dein neuer Film „Der Boden unter den Füßen“ erzählt von zwei Schwestern, einer psychischen Erkrankung und dem auslaugenden Arbeitsalltag einer Unternehmensberaterin. Woher ist die Idee gekommen, diese beiden extremen und extrem unterschiedlichen Leben in einem Film aneinandergeraten zu lassen?

Marie Kreutzer: Die Ursprungsidee hat sehr viel mit meiner Tante zu tun, die psychisch krank war und mit der ich einige intensive Erlebnisse hatte. Es gab vor allem eine Zeit, als ich Mitte 20 war, wo ich versucht habe, mich mehr um sie zu kümmern und in der sie gern noch mehr von mir gehabt hätte. Das hat mich dann schnell überfordert, auch weil ich selbst frisch im Berufsleben war – und ich glaube da hat das Projekt seinen Ursprung gefunden, weil ich mich oft gefragt habe, was schulde ich ihr, „nur“ weil wir miteinander verwandt sind. Dieses Schuldgefühl habe ich mitgenommen und daher kam die Grundkonstellation, dass man eigentlich mit etwas beschäftigt ist, aber sich um jemanden kümmern soll. Und die Unternehmensberaterin, da habe ich einmal eine Doku über meine Stiefschwester gemacht, die als Unternehmensberaterin gearbeitet hat. Und was bei der Arbeit an der Dokumentation enttäuschend gewesen ist, war, dass man nichts filmen durfte, weil das alles natürlich vertraulich war. Und da war dann klar, dass ich das irgendwann mal in einem Spielfilm unterbringen werde.

„Der Boden unter den Füßen“ ist der Eröffnungsfilm der Diagonale. FM4 wird on air und auf fm4.orf.at täglich von der Diagonale in Graz berichten. Die Homebase Spezial (19-22 Uhr) am 20.03. steht ganz im Zeichen des Festivals des österreichischen Films.

Wie schaut die Recherche für einen Film aus, der sich mit einer psychischen Erkrankung beschäftigt und der auch ein paar Szenen beinhaltet, die auf einer Psychiatrie spielen?

Wo ich das Gefühl hatte, ich muss nicht soviel recherchieren war, wie jemand mit einer psychischen Erkrankung mit einem spricht und sich verhält. Das war dann eher eine Herausforderung in der Inszenierung. Was die Institution Psychiatrie betrifft, hatte ich zum Glück einige PsychiaterInnen und PsychologInnen, ich konnte mich auch immer wieder mal auf der Psychiatrie aufhalten. Interessant ist, dass sich gewisse Abläufe in den Jahren, in denen ich an dem Drehbuch gearbeitet habe, auch geändert haben. Als ich angefangen habe zu schreiben, gab es noch eine Szene mit einem Netzbett und als ich die letzte Drehbuch-Fassung geschrieben habe, hab ich erfahren, dass das Netzbett ein Jahr zuvor abgeschafft wurde – und Österreich war weltweit das letzte Land, in dem es noch Netzbetten gegeben hat.

Szenenbild "Der Boden unter den Füßen"

Juhani Zebra / Novotnyfilm

Valerie Pachner und Pia Hierzegger in „Der Boden unter den Füßen“

Die andere Welt, in die einen „Der Boden unter den Füßen" mitnimmt ist die Arbeitswelt von Unternehmensberaterin Lola, die dabei hilft, Unternehmen gesund und effizient zu schrumpfen und die Dialoge, die hier zwischen Excel-Tabelle und Präsentation geführt werden, die kann man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln, das ist eine ganz eigene Welt, eine ganz eigene Sprache – wie bist du in diese Welt eingetaucht?

Ich hab mit mehreren ehemaligen UnternehmensberaterInnen gesprochen, die haben das Drehbuch gelesen und geholfen, ein Szenario zu entwickeln: Was kann das für eine Firma sein, was ist die Position meiner Hauptfigur, und die haben wirklich jeden Dialog gegengelesen. Es war mir wichtig, das so realistisch wie möglich zu schreiben. Und es ist tatsächlich wie eine Fremdsprache, die SchauspielerInnen haben sich tatsächlich oft sehr schwergetan, diese Sätze zu sagen, sie haben oft gesagt, das ist schwieriger, als einen alten Theatertext zu lernen.

In Kritiken zu deinem Film taucht absurderweise oft ein Vergleich zu „Toni Erdmann“ auf, in dem Sandra Hüller auch eine Unternehmensberaterin spielt - dieser Vergleich zeigt aber eigentlich nur, dass es noch viel zu wenig Filme gibt, die Frauen im Berufsleben zeigen. Warst du überrascht von den „Toni Erdmann“-Vergleichen?

Als ich gehört habe, dass Maren Ade einen Film mit einer Unternehmensberaterin als Hauptfigur macht, habe ich ja auch schon lange an meinem Drehbuch gearbeitet und mir gedacht, dass ich wohl zu langsam mit meinem Drehbuch war. Dann hab ich „Toni Erdmann“ gesehen und war beruhigt, weil mein Eindruck war, dass das ja was komplett anderes ist, kein Mensch wird diesen Film mit meinem vergleichen, es ist ein anderes Genre, es hat eigentlich nichts miteinander zu tun – außer eben diesen Beruf. Und jetzt kommen aber doch die Vergleiche, jemand hat gesagt, mein Film ist wie „Toni Erdmann“ ohne Schmäh – sehr böse (lacht). Aber es stimmt natürlich, es gibt viel zu wenig Filme über Frauen im Berufsleben.

Von wegen Toni Erdmann ohne Schmäh – „Der Boden unter den Füßen“ ist ein Drama mit Thriller-Elementen und hat aber mittendrin eine sehr lustige Szene. Das muss man sich jetzt auch dramaturgisch mal trauen, mitten in die Anspannung so einen komödiantischen Moment zu setzen. Wann weiß man denn, dass das funktioniert? Beim Schreiben, beim Drehen, beim Schneiden oder erst, wenn man den Film mit Publikum sieht?

Beim Schnitt weiß man, ob was funktioniert oder nicht. Ich habe die Szene geschrieben – ein Patient der Psychiatrie gibt sich als Arzt aus – und ich habe eine Psychiaterin gefragt und die hat meine Zweifel, dass die Szene zu platt sei, zerstreut und gesagt, das ist ganz und gar nicht unrealistisch, das passiert dauernd, dass sich Patienten als wer anderer ausgeben und auch immer wieder damit durchkommen. Die Figur im Film, die von Markus Schleinzer gespielt wird, ist tatsächlich Arzt, der eben momentan als Patient in der Psychatrie ist, das heißt ja eben nicht, dass nur, weil man psychisch krank ist nicht auch einen Beruf, ein Leben hat – und deswegen ist mir die Szene so wichtig.

Ich liebe die Filme von Alfred Hitchcock so sehr, dass ich manchmal Gefahr laufe, Hitchcock-Sprengsel zu sehen, wo gar keine sind. Als ich „Der Boden unter den Füßen“ auf der Berlinale gesehen habe, hab ich mir auch „Hitchcock“ notiert – einerseits wegen der einschleichenden Verunsicherung, andererseits wegen der blonden, weiblichen Hauptfigur und ihrer Doppelung - Lola und ihre Chefin Elise haben auch mal die gleiche Frisur... Hat Hitchcock in irgendeiner Form eine Rolle für deinen Film gespielt?

Hitchcock hat eine riesengroße Rolle für mich gespielt, sein Film „Marnie“ war eines der ersten Vorbilder für die Figur der Lola, weil ich diesen Film so liebe, obwohl der gar nicht so bekannt ist und auch nicht einer seiner besten Filme ist. Ich mag vor allem die ersten 30 Minuten, wo man noch überhaupt nicht weiß, was da eigentlich läuft, was Marnie eigentlich vorhat – so ganz erfährt man das auch nie. Sie bleibt eine geheimnisvolle und eine eigentlich nicht sympathische Figur – man folgt ihr aber trotzdem mit Spannung. Marnie ist der Grund, warum die Lola, die Figur der Valerie Pachner blond sein musste. Wir haben auch ein paar „Marnie“-Referenzen in den Film eingebaut, die sind aber eher so für mich, aber ich freu mich sehr, wenn sie jemand erkennt. Und diese Stimmung, wo man sich unwohl fühlt, das ist etwas, was niemand so gut kann wie Hitchcock. Und das war schon auch mein Ziel, eine Atmosphäre zu kreieren, der man sich nicht entziehen kann, wo sich einiges falsch anfühlt und man weiß gar nicht, warum.

Szenenbild "Marnie"

Universal

„Marnie“ (1964), Sean Connery und Tippi Hedren

In einer Szene schaut Elise, die Figur von Mavie Hörbiger, am Handy einen Bericht über die Angelobung der österreichischen Regierung. Im Film passiert ja eher nichts zufällig oder ohne Intention, warum hast du denn das ausgewählt?

„Der Boden unter den Füßen“ startet am 22. März in Österreich in den Kinos

Das schaut sie live, wir haben das am Tag der Angelobung gedreht und Mavie Hörbiger stand da während der Probe und hatte das Handy noch an. Ich hab dann beschlossen, das laufen zu lassen, das war ganz intuitiv. Ich wusste da gar nicht, ob man das im Film wahrnimmt. Es war der Tag der Angelobung und es war komisch, da so weit weg zu sein, bei Dreharbeiten in Rostock und zufällig am Handy mitzukriegen, was da eigentlich grad in unserem Land passiert, was ich furchtbar finde, dass das so reinschwappt in unsere künstlich gebaute Welt dort.

Die Bobo-Eltern in deinem Film „Was hat uns bloß so ruiniert“ scheitern teilweise an ihren hohen Anforderungen an sich selbst. Lola ist ebenso unter einem dauernden Druck, nicht nur durch ihren Job, sondern auch durch sich selbst. Man vermutet ja bei wiederkehrenden Themen dann immer schnell mal Autobiografisches, bist du jemand, der hohe Ansprüche an sich selbst stellt?

Ja, ich leide da auch oft drunter. Lola ist ja in sehr vielen Dingen ganz weit weg von mir, deswegen ist es mir glaube ich recht spät aufgefallen, aber im Schnnittprozess gab es dann einen Tag mit Screenings, die nicht so gelaufen sind, wie ich wollte und ich hatte das Gefühl, ich hab versagt und der ganze Film ist im Eimer und da, wo ich so in mir zusammengesunken bin, ist mir erst aufgefallen, wie ähnlich ich ihr bin und wie wenig ich das Gefühl ertrage, etwas nicht richtig oder perfekt gemacht zu haben.

Szenenbild "Der Boden unter den Füßen"

Juhani Zebra / Novotnyfilm

Mavie Hörbiger und Valerie Pachner in „Der Boden unter den Füßen“

Der Film startet am 22. März in den österreichischen Kinos und es wird mehrere Screenings geben, bei denen im Anschluss Gespräche mit Ärzten, Psychiatern stattfinden. Es herrscht also auch fachliches Interesse an deinem Film. Hast du mit einer derartigen Auseinandersetzung mit deinem Film gerechnet?

Ich rechne eigentlich nie mit irgendwas, aber ich find’s toll und bin total gespannt drauf. Selbst die PsychiaterInnen, die das Drehbuch gelesen haben, haben den Film noch nicht gesehen. Wie jetzt sozusagen Fachmenschen darauf reagieren und auch auf die Darstellung dieser Krankheit, darauf bin ich sehr neugierig.

„Der Boden unter den Füßen“ ist der Eröffnungsfilm der Diagonale. Gast der Diagonale ist Rose McGowan, eine wichtige Figur in der #metoo-Bewegung, die doch den Umgang und die Sensibilität nicht nur für sexuellen Missbrauch und Belästigung geschärft hat, auch was die Repräsentation von Frauen auf und abseits der Leinwand angeht, hat sie eine Änderung eingeläutet. Befinden wir uns in einer Zeit des Umbruchs?

Das würd ich sehr hoffen, aber es geht mir halt viel zu langsam.

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