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Black Country, New Road

David Višnjić

donaufestival

Von Wurmlöchern und dem besten Konzert des Jahres

Sechs Tage lang hat das Donaufestival nach etlichen Verschiebungen und Ausfällen nun endlich Krems bespielen dürfen. Zum letzten Aufbäumen luden am Samstag und Sonntag u.a. der Brite Ghostpoet, die kanadische Kìzis und die Band der Stunde, Black Country, New Road, die am Donaufestival das vielleicht beste Konzert des Jahres feierten.

Von Michaela Pichler

Die Minoritenkirche in der Kremser Innenstadt ist immer eine gute Adresse, um in den Sog des Donaufestivals zu gelangen. Am vorletzten Festivaltag, dem Samstag, geschieht das unter der Regie von Aho Ssan. Der französische Produzent stapelt Krach-Wand auf Krach-Wand, er bändigt seine digitalen Maschinen, die manchmal aufkreischen wie technoide Raptoren. Aho Ssan weiß, wie er mit diesen Monstern umgehen muss.

Aho Ssan

David Višnjić

Aho Ssan

Irgendwann mischen sich auch sirenenhafte Stimmen hinzu. Der Bass schlängelt sich durchs Kirchenschiff bis in die hintersten Reihen und tief in die Magengruben der Festivalbesucher*innen, ein schönes Gefühl. Gleichzeitig leuchten die roten Scheinwerfer auf wie die zwei wütenden Augen eines Monsters. An dieser Stelle muss auch die Lichttechnik des Donaufestivals gelobt werden, die an jedem einzelnen Tag die Geschehnisse auf den unterschiedlichen Bühnen höchst fabelhaft eingehüllt hat.

Aho Ssan

David Višnjić

Von Aho Ssans dystopischer Klangwelt geht es weiter Richtung Messegelände. In der Halle 3 ist schon alles aufgebaut, das ungarische Kunstkollektiv Hollow ist zum ersten Mal nach Österreich gereist, um den neuesten Wurf „Summit“ zu performen. Ein dystopisches „Warten auf Godot 2.0“, wenn man so will. Die noch unwissenden Festivalbesucher*innen betreten den Raum, bekommen unterschiedliche Symbole umgehängt und werden von den Akteur*innen innerhalb der Installation verteilt. Ab jetzt gelten sie als „Earth Siblings“. An den Wänden laufen Handyvideos, ein Countdown ist zu sehen, dann mischen sich auch Augmented-Reality-Avatare in das virtuell-reale Geschehen.

Hollow

David Višnjić

Hollow

Die Zivilisation steht an der Kippe; zu arg wurde die Erde ausgebeutet und geschunden, die Apokalypse steht bevor. In der knapp einstündigen Performance schaffen Hollow eine bedrohliche Stimmung, sektenhafte Jonestown-Massaker-Vibes kommen auf, angeblich ist man gefangen im Wurmloch der Unendlichkeit, aber hey, Angst sollen wir keine haben vor dem Schmerz und dem Elend. Fehlt nur noch eine von der Decke schwebende Grimes, die das endgültige Zusammenbrechen des Anthropozäns verkündet und die Hollow-Jünger mit sich nimmt. Doch stattdessen leidet ein Performance-Künstler so lange sich krümmend am Boden, bis auch seine letzten Kräfte dahinschwinden und er reglos liegen bleibt. Im Publikum fragende Gesichter, die doch noch einen kurzen Blick aufs Handy riskieren, um schnell noch das vorläufige Staffelfinale des österreichischen House of Cards mitzubekommen.

Conny Frischauf

David Višnjić

Conny Frischauf

Viele der fragenden Gesichter strömen an diesem Abend auch in die Halle 2, wo Conny Frischauf ihre Korg-Lieblinge schon aufgebaut hat. Mit dabei ist auch ihr Musikkollege Sam Irl, den die Solokünstlerin fürs Donaufestival als zweites Händepaar an den Tasten, Knöpfen und Schiebereglern auserwählt hat. Gemeinsam schicken die beiden Loops, Synthesizer-Sounds und Reime in die Halle. In den Songtexten stellt sich die Niederösterreicherin viele Fragen, ans eigene Ich, aber auch ans gemeinsame Wir. Worum geht es mir? Worum geht es dir? Das Ausverhandeln von Grenzen und Verbundenheit als stetig neu aufpoppendes Motiv am Donaufestival. In den ersten Reihen wird gemütlich mitgetänzelt, auf der Bühne entpuppt sich die Künstlerin als sympathisch-verplant, sie steckt zwischen den Songs die Kabel um, klatscht beim Applaus mit und hat sichtlich Spaß. Eine willkommene Auflockerung.

It’s Black Country out there!

Die wichtigste Info zuerst: Alle, die dieses Konzert verpasst haben und deshalb unter FOMO leiden, tun das aus gutem Grund. Um Black Country, New Road wurde schon viel Furore gemacht, in den Internetforen wie in der internationalen Presse, die das britische Septett sogar als beste Band der Welt bezeichnet (The Quietus). So ein vorauseilender Ruf kann schnell auch zum Genickbruch in einer aufstrebenden Karriere werden. Black Country, New Road wissen das. Natürlich freuen sie sich über das viele Lob, das ihrem Debütalbum „For the First Time“ gefolgt ist, erzählen sie im FM4 Interview. Doch wie soll man diesen Erwartungen gerecht werden?

Mit umwerfenden Livekonzerten zum Beispiel. „What a time to be alive!“, schreit sich Sänger und Gitarrist Isaac Wood ein bisschen aus der Seele. Black Country, New Road bringen gerade ihren Song „Science Fair“ als lebendige Ausuferung auf die Kremser Bühne. Es ist ein Song, der auch gut als Black-Mirror-Folge durchgehen könnte, in all seiner Irritation, Anspannung, Zerbröselung. Endlich wieder Eskapismus, endlich wieder ein Entladen der Festivalenergie, die sich bei manchen Performances an diesem Wochenende zwar aufgestaut, die aber noch kein Ventil gefunden hat. Black Country, New Road möchten dieses Ventil für uns sein.

Black Country, New Road

David Višnjić

Eine Stunde lang dringt Musik in jede Zelle des Publikumkörpers, es ist ein Aufatmen. Das Ensemble spielt meisterhaft mit den Dynamiken, die ihr Genreschmelztiegel an Post-Rock, Post-Punk, New Jazz, Noise-Pop und Co KG zulassen. Der Sound oszilliert zwischen harmonischen Ruhepolen und aufgekratzter Tension, während Lewis Evans’ Saxofon röchelt, Tyler Hyde ihren Bass bearbeitet, Georgia Ellerys Violine kreischt, May Kershaw in die Keys hämmert und der Drummer Charlie Wayne sehr viel Herzblut in sein Instrument ballert. Dazwischen tun sich auch ganz zärtliche Momente auf, in Form von ganz neuen, noch unveröffentlichten Songs. Wood legt darin seinen ansonsten so abgeklärten Spoken-Word-Gesang ab und singt stattdessen richtige Melodien. Im Publikum umarmen sich Menschen, Luke Mark umarmt seine E-Gitarre.

Alle Infos zum Donaufestival 2021 und ausführliche Berichte aus Krems gibt es hier!

Ihr Set beenden Black Country, New Road mit dem Song-Epos „Opus“, der auf Platte acht Minuten dauert und live zu einer Viertelstunde gedehnt wird. Die Band triezt dabei das Publikum, spannt es auf die Folter, die einzelnen Musiker*innen flüstern sich auf der Bühne verschwörerisch in die Ohren, bis sie im klezmerdurchtränkten Finale explodieren. Der Jubel ist groß. Ein gelungener Tourauftakt für das englische Ensemble, das in den nächsten drei Monaten in ganz Europa mit ihrem Albumdebüt „For the First Time“ hausieren geht. Welches erste Mal im letzten Musikjahr der Band war am schönsten? „Ganz klar: auf Festivals zu spielen und vor einem Publikum aufzutreten, das extra gekommen ist, um uns zu sehen. Menschen, die deine Songtexte kennen. Vor der Pandemie war das auf keinen Fall so, es ist etwas komplett Neues für uns und das ist ein großartiges Gefühl!“

Während die Festivalbesucher*innen hauptsächlich aus Wien, Niederösterreich und Umgebung nach Krems pilgern, gibt es heuer im Line-up auch Artists, die weiter anreisen müssen: Kìzis vereint in ihrer Musik nicht nur die eigene Reise einer trans Künstlerin in Kanada, die in der indigenen Bevölkerungsgruppe der Ardoch Algonquin First Nation aufgewachsen ist.

Kìzis

David Višnjić

Kìzis

Mit ihrer Familiengeschichte und ihrem queeren Umfeld bringt sie gleich mehrere Communities in den Fokus ihrer Kunst. Kìzis nimmt sich dafür Zeit und Raum. Ihr neues Album ist dafür der beste Beweis: „Tidibàbide“ oder „Turn“, wie der englische Titel heißt, ist Kízis zweites Album und hat eine stolze Länge von dreieinhalb Stunden. Kízis schöpft darin aus dem Vollen. Nicht nur die Albumlänge ist erstaunlich, auch die Liste an Musiker*innen ist lang und umfasst über 50 Mitwirkende, darunter der Arcade-Fire- Livemusiker Owen Pallett mit seiner Violine.

Für das Donaufestival hat sich die Künstlerin eine besondere Inszenierung ihres Albums in der Halle 1 am letzten Festivaltag überlegt. Zu Musikfreund*innen an Keyboard, den Drums, Saxofon und E-Gitarre gesellt sich auch ein österreichisches Streichquartett. Während sloganhafte Lyrics gepredigt werden - „Change the planet and heal yourself“ - kommt ein ganzes Arsenal an Instrumenten zum Einsatz (die Posaune!). Kìzis selbst schlägt zu jedem Song eine Felltrommel - das Metronom und der Herzschlag des Ensembles. Die Liveversionen der Albumtracks wirken nackter, weniger Club ist zu hören als noch auf Platte. Die ersten Leute ziehen ihre Schuhe aus und tanzen ihren Namen. Einige legen sich hin und lassen den Musiktrip am Boden auf sich wirken. Kìzis spaltet die Meinung mancher Festivalbesucher*innen , nicht jede*r ist begeistert von weltumarmenden Mantras und dem „Radical Individual Empowerment“, von dem Kìzis immer wieder singt. Doch bei einem sind sich alle einig: Die kanadische Künstlerin strahlt Wärme und Charisma aus und wird mit ihrem Auftritt zu einem der wichtigen Kontrapunkte im Donaufestival-Reigen.

Während Kìzis ihre Österreichpremiere feiert, beschließt ein Altbekannter die Kremser Diskursfestspiele. Schon 2013 trat Obaro Ejimiwe alias Ghostpoet mit seinem damals sehr neo-trip-hoppigen Soloprojekt auf. Sein Debütalbum feiert heuer seinen zehnten Geburtstag, beim Abschlusskonzert des Donaufestivals stehen aber vor allem die neuen Songs auf dem Programm: Sein aktuelles Album „I Grow Tired But Dare Not Fall Asleep“ ist zwar schon im Mai 2020 erschienen, die Release-Konzerte fielen allerdings alle aus. „Ich habe das Livespielen fast schon vergessen. Ich habe es kurzzeitig aus meinem Kopf gestrichen“, gesteht Ghostpoet im FM4 Interview.

Passend zum Lederjacken-Image und dem Posertum, das sich auf der Bühne offenbart, hat sich Ghostpoets Show mittlerweile zu einer Alternative-Rock-Crossover-Geschichte entwickelt. Die besseren Momente gilt es rauszuhören, wenn der Moog doch am lautesten gedreht ist. Oder wenn die ausgezeichnet tighte Drummerin Aicha Djidjelli BPMs zaubert. Im Laufe des Konzerts spricht der Brite zum Publikum (eine der sehr seltenen Bühnenansagen an diesem Wochenende) und spricht die hohen Mauern und die menschenrechtsverletzende Politik hinter den Grenzen der westlichen Länder an, bevor er seinen „Immigrant Boogie“ performt - „This is my response to it“.

Das Publikum dankt mit zustimmendem Beifall, überhaupt ist die Halle 1 gut besucht für diese letzten Akkorde und den strömenden Gedankenrausch von Ghostpoet. Bis dann das Licht angeht, sein größter Fan verzweifelt nach einer Zugabe schreit und die zufriedenen Grüppchen langsam zu den Shuttlebussen und in die Nacht drängen. Um sich mit Kìzis Worten zu verabschieden: „Bon Voyage and see you next time, dear Donaufestival!“

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