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FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Steppenvisite: Ein Roadtrip mit Cari Cari am Neusiedlersee

In FM4 Im Viertel #17 ergründen das Indie-Rock-Duo Cari Cari den Einfluss des Neusiedlersees auf ihre Musik – vom Mörbischer Yacht Club über den Ruster Berg, von der Buschenschank bis in die Cselley Mühle in Oslip. Alexander Köck und Stephanie Widmer verraten auch, was sich nach ihrem Fair-Pay-Eklat im Burgenland getan hat und was sie über das Austrocknen des Sees denken.

Von Florian Wörgötter

Schwül, staubig, steppig – danach klingt die Musik des burgenländischen Indie-Rock-Duos Cari Cari. Ihr entwurzelter Wüstenrock könnte die Filme von Quentin Tarantino oder Spaghettiwestern im Geiste Ennio Morricones eröffnen. Dementsprechend finden die beiden auch außerhalb von Österreich einen Großteil ihres Publikums. Vor Corona haben Cari Cari 80 Prozent ihrer Konzerte im Ausland gespielt, dennoch gewannen sie den FM4-Award beim Amadeus 2022.

Nach dem Burgenland klingt der Cari-Cari-Sound jedenfalls kaum – zumindest auf den ersten Blick nicht. Nachdem mich Cari Cari im Tourbus abholen, und wir den Roadtrip am Südwestufer des Neusiedlersees starten, erscheinen die Einflüsse ihrer Musik aber in neuem Licht.

Welcome To Kookoo Island

Unsere FM4-Im Viertel-Tour beginnt mit einer Wanderung auf den Ruster „Berg“ (= Hügelland). Neben dem Steinbruch erhöht sich neben der Salzsteppe ein Naturschutzgebiet. Dort wachsen österreichische Orchideen und es pfeifen die Bienenfresser-Vögel von den Büschen. Als Hobby-Ornitholog*innen wissen die beiden Bescheid, schließlich zählen sie auch die Vögel-Population vor ihrem Studio in Baden. „Ich hasse das Wort ‚Kraftort‘, doch hier bin ich einfach gerne. Wenn sich die Senke eröffnet und man nichts anderes mehr sieht als den Neusiedlersee, dann fühle ich mich daheim“, sagt Alexander Köck.

Der Sänger und Gitarrist wurde vier Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhanges in Mörbisch geboren. Sein Bühnenedebüt gab er als 11-jähriger „Romabua“ in der Operette „Gräfin Mariza“ bei den Mörbischer Seefestspielen. Künstlerisch sozialisiert hat ihn aber die Cselley Mühle im benachbarten Oslip. Mörbisch bedeutet für ihn: einfach Ruhe geben.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Stephanie Widmer, Gesang und Schlagzeug, unverkennbar mit dem Hut als Markenzeichen, stammt aus der Steiermark, verbindet mit dem Neusiedlersee aber einen lebenslangen Urlaubsflirt. Ihre gemeinsame „Seensucht" bezeichnet sie als „Fundament“ der Band. In der ersten Cari Cari-Jamsession vor zehn Jahren saß sie erstmals am Schlagzeug und hat nie wieder damit aufgehört. Außerdem spielt sie Didgeridoo auf einem PVC-Abflussrohr. Idealerweise ist Alexanders Vater Installateur und sichert einen lebenslangen Vorrat.

Beide leben heute in Wien, haben ihr Studio in Baden und fühlen sich auch London und Hamburg zugehörig. Doch im Burgenland hat vor zehn Jahren alles begonnen.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Die Wanderung hinauf zum 200 Meter hohen Gipfel des Ruster Berges führt durch ein steppiges Gebiet, vorbei an Sandsteinskulpturen. Die Sonne brennt auf der Haut, der Wind wirbelt den Staub auf. Erstmals wird nachvollziehbar, dass Cari Cari ihren alles andere als rustikalen Wüstenrock doch nicht nur aus der Ferne herbeizitieren. „Mörbisch im Sommer lädt ein, barfuß unterwegs zu sein. Die Hundstage, das Weitläufige, die Steppe, das Wüstige – das alles spiegelt sich in unserem Sound wieder", sagt Alex.

„Unser Nachbar in Mörbisch, der Sänger Waterloo, sagt, das Burgenland ist wie Afrika“, lacht Stephanie. Tatsächlich hätten das Burgenland und seine Salzsteppe große Ähnlichkeit mit der südafrikanischen Savanne. Und die untergehende Sonne spiegle sich abends tiefrot im Neusiedlersee. Gespaltene Zungen könnten nun behaupten, dass somit klar ist, wo sich Cari Cari ihren Steppensound abschauen („Heyaheyaheya“).

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Once upon a Time in Burgenland

Wir fahren weiter nach Oslip in die Cselley Mühle, der kulturellen Nahversorgerin im Bezirk Eisenstadt-Umgebung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1975 gilt die „Mü“ als Begegnungszone der alternativen Kultur, die auch bei jungen Menschen auf Resonanz stößt. „Ich habe hier meine ersten Auftritte gespielt, Bandwettbewerbe erlebt, als DJ aufgelegt und Partys veranstaltet. Die haben uns einfach machen lassen“, erinnert sich Alexander an den Ort, an dem er musikalisch aufgewachsen ist. Nach dem Tod der beiden Gründer wird die Mühle nun renoviert, sie hat eine schicke Weinbar erhalten, einen neuen Ausstellungsraum, sieben Chalets und den neuen Namen „Csello“.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Am Gelände betreibt auch Thomas Pronai aka Kantine sein analoges Tonstudio „Container Recordings". Wir besuchen den „Ziehvater von Cari Cari“ und „Garant von Tastefulness“, wie ihn Alexander nennt. Im einstigen namensgebenden Container hat Pronai die burgenländische Indie-Szene aufgenommen – von Garish über Ja, Panik bis zu den ersten Soundfindungversuchen von Cari Cari.

Hier haben die beiden „gelernten Dilettant*innen“ die intime, rumpelige Live-Situation mit analogen Bandmaschinen ausprobiert. Manches davon haben sie am Computer gesampelt, geloopt und ausproduziert, um damals nicht zu sehr nach White Stripes zu klingen.

Im lockeren Gespräch erinnern sich die drei an den allerersten Cari-Cari-Auftritt als Vorband von Thomas’ Rockband Bo Candy & His Broken Hearts, deren erste Kassette den jungen Alexander als Musiker „umgekrempelt“ hat. „Schon damals haben viele im Publikum gesagt, aus denen wird sicher was“, meint Pronai.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Wie Cari Cari zur Band zusammengefunden haben? Alexander war sofort begeistert von Stephanies Solo-Musik. Nachdem sie seine Vorgängerband in der Cselley Mühle als Support-Act eröffnete, hat er sie zur Recording-Session im Kellerstudio bei den Eltern eingeladen. „Ich hab mich einfach in ihre Band hineinreklamiert“, lacht Alexander.

Der Cari-Cari-Moment

Der FM4-Im-Viertel-Roadtrip geht weiter ins benachbarte Rust, die Stadt der Störche und der Weinbauern. Während die Weintrauben fressenden Stare hier von den „Star-Fightern“ bekämpft werden, bedeckt auf nahezu jedem Hausdach ein Storchennest den Kamin. „Der Ruster Storchenverein verwöhnt die Storche so sehr, dass manche von ihnen im Winter gar nicht mehr wegfliegen“, sagt Alexander. Im Hintergrund steigt und fällt das Klappern der Störche wie ein oszillierender Percussion-Synthesizer.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Wir setzen uns in die Weinlaube der Buschenschank Schandl und bestellen Traubensaft und ungarisches Fischpaprikás, ein Fischgulasch in Paprikarahmsauce. „Entschuldigen Sie, Ihr seid doch Cari Cari, oder?“, nähert sich ein älterer Herr vorsichtig unserem Tisch. Er habe den Eklat verfolgt, den Cari Cari beim Festakt „100 Jahre Burgenland“ im Jahr 2021 ausgelöst haben – und sei dankbar für ihr Statement zum Lohndumping im Kulturbereich.

Zur Erinnerung: Damals hatte Alexander vor versammelter Politprominenz ihr Konzert unterbrochen, um in einer konstruktiven Kritik darauf hinzuweisen, dass die studierenden Orchestermusiker*innen an diesem Abend lediglich 30 Euro verdienen würden.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

Der Moderator und damaliger Generalmusikintendant des Burgenlandes Alfons Haider reagierte empfindlich; der Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil versprach, sich dem Thema persönlich anzunehmen. Was sich seit diesem Protest in der Kulturpolitik des Burgenlands verändert hat? „Dass Hans Peter Doskozil wie angekündigt das Gespräch suchen wird, davon habe ich nix mitbekommen. Mit mir hat nie wieder wer gesprochen“, sagt Alexander. „Ich hab auch die Vermutung, dass wir seitdem in den burgenländischen Medien weniger oft vorkommen.“

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Florian Wörgötter

Nach seiner Teilnahme an einem Symposium habe das Kulturstaatssekretariat aber einen Fokus auf Fair Pay gelegt und extra Budget freigestellt, so Alexander.

Neusiedl ohne See?

Das Ende des Roadtrips führt uns nach Mörbisch (Dialekt: „Miabisch“, Ungarisch: „Fertőmeggyes“ = Neusiedlersee + Weichseln). Während einem Spaziergang durch die grün dekorierten Hofgassen, deren Streckhöfe sich einst die Bauernfamilien teilten, erzählt Alexander, dass seine Oma eine Pionierin der Weinpanscherei war. Um ihren Marketingmix zu erweitern habe sie trockenen Wein einfach mit einem Stück Süßstoff zum halbtrockenen Wein hochstilisiert, mit zwei Stücken wurde daraus Süßwein.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

„Mörbisch klingt nach den Kastagnetten des Storchengeklappers, dem Hackbrett der Roma und der Tamburica der Burgenland-Kroat*innen.“

Neben der Mörbischer Seebühne residiert am Ufer der Yacht Club Mörbisch. Beim Segelverein geht auch Alexander ein und aus – jedoch ohne eigene Yacht und weißen Hosen, wie er betont. „Nachdem der Wasserstand wieder gestiegen ist, kann man am Neusiedlersee gut segeln“, beobachtet er den regen Bootsverkehr. Heute steht sein Wasserspiegel bei 115 Zentimetern. Zum mittleren Wasserstand der vergangenen 60 Jahre fehlen jedoch rund 50 Zentimeter, auf den Höchststand von 2015 mehr als 70 Zentimeter.

Was wäre, wenn der Neusiedlersee austrocknet? Dieses Szenario beleuchtet Hanno Setteles satirisches ORF-Gedankenexperiment „Neusiedl ohne See“. Dessen Fake-Interviews ließen im Burgenland Tourismus die Wogen hoch gehen. „Dystopie ist das keine mehr“, meint Alexander. „Sehr viele Lacken sind bereits ausgetrocknet“. Doch es sei schwierig sich ein ordentliches Bild zu machen, weil Tourismus und Wirtschaft, Zuleitung und Naturschutz unterschiedliche Interessen verfolgen.

FM4 Im Viertel - Cari Cari am Neusiedlersee

Florian Wörgötter

„Der See ist schon total reguliert: Es gibt viele Senkgruben, im Seewinkel wurde schon viel trockengelegt. Nach seinem Höchststand im Jahr 2015 wurde dem See sehr viel Wasser entleert, das jetzt fehlt“, so Alexander. Jedoch neues Wasser einzuleiten würde laut Expert*innen die Zusammensetzung des trüben, salzhaltigen Wassers verändern, was zu Algenblüte und Versumpfung führen könne. „Am besten wäre wohl, das Gegebene so zu regulieren, dass kein Wasser mehr abgelassen wird“, blickt Alexander besorgt in die Zukunft. „Wie überall in der Klimakrise hoffe ich auch beim Neusiedlersee, dass die Leute aufwachen, die Lage verstehen und ihr Verhalten ändern.“

Tatsächlich wäre es wundersam, wenn in Zukunft die Folklore im Burgenland nur mehr nach Wüstenrock klingen würde...

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