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FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

AVEC: Kreuzweg durch Vöcklabruck

In FM4 Im Viertel #15 zeigt Sängerin und Songwriterin AVEC uns ihre Homebase Vöcklabruck in Oberösterreich. Wir besuchen ihre ersten Konzertbühnen in Kirche und Kaffeehaus und kehren mit ihr in ihre Schule zurück. Dabei erzählt AVEC von ihrer „Granny“ und wie sie daheim ihre Depression abwendet.

Von Florian Wörgötter

Wer jemals im Zug zwischen Linz und Salzburg unterwegs war, hat schon den Bahnhof von Vöcklabruck durchquert. Heute steige ich erstmals aus und treffe die hörenswerteste Sehenswürdigkeit der Bezirkshauptstadt: die Sängerin und Songwriterin AVEC. Seit ihrem Durchbruch mit dem Song „Granny“ (2015) ist die Oberösterreicherin mit ihrer Gitarre beinahe jedes Jahr für den Amadeus Austrian Music Award nominiert, den sie im Jahr 2019 in der Kategorie Alternative auch gewinnen konnte.

Im Alter von 12 Jahren zog AVEC nach Vöcklabruck, in eine Kleinstadt mit über 12.000 Einwohner*innen, diversen weiterführenden Schulen und einem Einkaufszentrum am Stadtrand, das mit den Geschäften auch das Leben aus dem Zentrum abgezogen hat. Doch Cafés und der Markt, der Stadtsaal und das Offene Kunst- und Kulturhaus (OKH) sichern die kulturelle Nahversorgung. „Es könnte mehr gehen, doch immerhin tut sich was, obwohl Vöcklabruck keine große Stadt ist“, sagt AVEC.

Wäre Vöcklabruck ein Musikstück, wie würde es klingen? „Vöcklabruck ist ein Mix aus Punkrock (wegen der großen Szene), Schulglocke (wegen der vielen Schulen), Marktmusikkapelle und Cowbells (wegen dem Landleben).“

Die Künstlerin mit der weichen Stimme und dem weltgewandten Sound hat ihre Gitarrensongs meist in Vöcklabruck entwickelt. „Ich habe bis vor einem Jahr noch bei meiner Mutter gewohnt und meine Songs mehr oder weniger im Kinderzimmer produziert und geschrieben“, meint AVEC, die vor einem Jahr in die Hauptstadt Wien übersiedelt ist. „Vöcklabruck ist mein Zuhause. Hier komme ich her, um in Ruhe zu sein.“

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Jazzcafé und Bauernhofstudio

Wir beginnen unsere Tour im Cafè Mayr an der Kreuzung neben dem Fluss Vöckla und seiner Brücke (= Vöckla + Bruck). In ihrem Stammlokal, eine Bäckerei mit Bühne, ordert die gut gelaunte AVEC einen Espresso und erzählt von ihrem ersten Gig auf der Afterparty der Faustball-WM 2013. Die offenherzige AVEC lacht laut, als sie diesen Satz ausspricht, und sie wird mit ihrem Lachen den Pegel des Mikrofons noch öfters zum Übersteuern bringen.

Wenn AVEC von ihrer Musik spricht, nennt sie im gleichen Atemzug ihren besten Freund, Bandkollegen und Co-Produzenten Andreas Häuserer. Seit über zwölf Jahren bilden die beiden eine musikalische Einheit. In Vöcklabruck haben sie in seinem Keller ein gemeinsames Studio eingerichtet, wo sie auch heute noch „hingehen, zurückkehren und ankommen“. Hier haben sie ihre ersten Bühnen bespielt und von hier aus sind sie in den Van gestiegen, um mit ihrer Musik durch das Land zu touren.

FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

Ihr zweites Album „Heaven / Hell“ (2018) hat AVEC noch in Irland produziert; das dritte Album „Homesick“ (2020) hat sie in den HofStudios im benachbarten Regau aufgenommen. Der oberösterreichische Boden im abgelegenen Bauernhof ohne fließendes Wasser habe der Produktion die Ruhe gegeben, damit das Album so klingt, wie es klingt. Die Themen „Zuhause“ und „Ankommen“ haben auch in diesen Songs eine große Rolle gespielt.

Von Schlangen und Apfelblüten

Wenn AVEC die Hände ausstreckt, zeigen sich ihre tätowierten Unterarme unter dem dunklen Pullover. Links hat sie eine schwarze Schlange, rechts eine Apfelblüte mit einer Songzeile der Einstürzenden Neubauten, der Lieblingsband ihres verstorbenen Onkels: „You will find me, if you want me, in the garden.“

Interpretationen zur lauernden Versuchung im Garten Eden, vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse zu naschen, sind rein zufällig. Die Schlange habe „kein deeper Meaning“, doch die Zeilen hat sie ihrem Onkel gewidmet wie auch den Song „I don’t pray“ (2021).

FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

AVEC erinnert sich an den Heimkehrer aus Wien, der immer Großstadtgeschichten, gute Laune, Wein und Lieder mitbrachte. „Mein Onkel hat meine Musik immer gefeiert, war auf meinen Konzerten und hat mich extrem bestärkt in dem, was ich mache:“ Im Song lautet diese Reminiszenz: „So I remember when I was 18 and you were always there just from the start:“

Als wir unseren Kaffee bezahlen, spricht die witzige Kellnerin, die seit über 30 Jahren im Laden steht, ein großes Wort gelassen aus: „Geld macht nicht glücklich. Lieber weniger Geld, dafür mehr Gesundheit."

Karma, Kirche, Kings of Leon

Wir verlassen das Café Mayr und queren die Straße zur gegenüberliegenden Dörfelkirche. AVEC hatte hier ihre erste Banderfahrung, als sie mit Andi die Schulgottesdienste begleitete. „Wir haben Songs von Kings of Leon und Paolo Nutini gespielt und keine typischen Kirchenlieder:“ AVEC ist früher auch bei Taufen und Hochzeiten aufgetreten, jedoch niemals wegen der kirchlichen Rituale, sondern weil sie vor Leuten spielen wollte.

Aus der römisch-katholischen Kirche ist die 1995 Geborene schon lange ausgetreten. Daran konnte auch ein einziger Tag als Ministrantin in Kindesjahren nichts ändern. Einer der Gründe war, dass Frauen zwar ministrieren dürfen, doch in der Chefetage noch immer keine Chance bekommen.

FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

Welcher ihrer Songs der Unheiligste ist, den sie in einer Kirche aufführen könnte? „Vielleicht das körperliche ‚Yours‘ oder doch eher ‚Heaven/HellI‘?“ Die christliche Dichotomie von Gut und Böse spielt in ihrem Leben nur insoweit eine Rolle, als dass sie an Karma glaubt und dass schlechtes Verhalten gegenüber anderen eine*n auch einholen wird. AVEC selbst versucht mit kleinen Gesten anderen eine Freude zu machen, sei es ein „Danke“ an der Kassa oder ein „Hallo“ auf der Straße – was in Vöcklabruck natürlich ist, in Wien aber beinahe übergriffig wirkt.

Schulband und Theatergruppe

Als nächste Station wählt AVEC ihre alte Schule, die HAK Vöcklabruck (Slogan: „International, digital, emotional“ ). „Im Nachhinein vielleicht die falsche Wahl“, meint AVEC, der Worte näher liegen als Zahlen. Doch ohne HAK hätte sie damals nicht ihren Bandpartner Andi kennengelernt.

In den langen Gängen bleiben wir vor einem Foto der Schulband stehen, auf der Lehrende und Schüler*innen gemeinsam mit Horn, Klarinette und Fanfare posieren. Auch AVEC hat damals in der „Schüler/Lehrer-Band“ ihren kreativen Gegenpol zu Buchhaltung und Betriebswirtschaft gefunden. „Es war so wichtig, dass wir musikalisch sein durften. Außerdem konnten wir wegen der Proben früher aus dem Unterricht“, lacht sie. Ein erstes Gefühl für Bühnenpräsenz entwickelte sie auch in der Theatergruppe der Schule.

FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

Sie performte in Theaterstücken und Schulgottesdiensten in der Aula, wo heute ein Kirchenkreuz wie im Herrgottswinkel hängt. „Das müsste nicht sein“, meint AVEC. Als sie sich umdreht, rutscht ihr blondes Haar hinter die Ohren und ihr Ohrring schimmert im Licht: ein Kreuz mit zwei Querbalken. „Das ist das Kreuz meiner Oma. Im Gegensatz zu mir war sie sehr religiös. Seitdem sie gestorben ist, habe ich es nicht mehr abgenommen. So ist meine Oma immer bei mir.“

Granny und mentale Gesundheit

Ihre Großmutter ist nach einer Alzheimer-Erkrankung gestorben. AVEC musste mitansehen, wie sich ihre Persönlichkeit verändert hat. Diese Erfahrungen hat sie in ihrer Durchbruch-Single „Granny“ (2016) verarbeitet, die ihr viele Türen geöffnet hat und auch in einem TV-Werbespot landete. Was sie von ihrer Großmutter gelernt hat: „Sie war sehr genügsam und hat nie gejammert, obwohl sie ohne Mann sieben Kinder aufzogen hat.“ Songs wie „Granny“ oder „I don’t pray“ begegnet sie noch immer mit großem Respekt, da sie deren Emotionen bei jedem Liveauftritt wieder und wieder durchlebt.

In ihrer Musik verarbeitet AVEC nicht nur persönliche Verluste, Enttäuschungen und Liebesschmerz, sondern auch die Wehen ihrer eigenen Depression. Sie spricht öffentlich in Interviews über ihre mentale Gesundheit, denn es werde noch viel zu wenig über Depressionen geredet, meint sie.

FM4 Im Viertel – AVEC in Vöcklabruck

Florian Wörgötter

Welche Strategien AVEC in Vöcklabruck hat, um eine Welle der Depression abwenden zu können? „Die Natur ist für mich das Wichtigste überhaupt. Ich gehe raus in den Wald spazieren, laufe oder füttere die Schafe und die Henderl des Nachbarn. Oder ich packe meine Kamera ein und fotografiere“. Hier in Vöcklabruck sei es einfach, den Menschen aus dem Weg zu gehen, weil oftmals keine unterwegs sind. Am liebsten spaziert sie barfuß durchs Gras wie in ihrer Kindheit, um sich „in der Natur zu grounden".

Nothing to me

Zum Abschluss rutschen wir übers nasse Gras eines Feldes. AVEC singt exklusiv für uns im untenstehenden Video ihre frisch erschienene Single „Nothing to me“, ein Befreiungsschlag gegen eine nahestehende Person, die sie jahrelang hintergangen hat. Unter feuchtem Nebel beweist AVEC, dass sie kein Studio braucht, um eine starke Stimme zu haben – und auch kein Kreuz, um vom Weltschmerz erlöst zu werden.

AVEC performt im Grünen eine A-cappella-Version ihrer neuen Single „Nothing to me“. Aufgenommen von Florian Wörgötter in Vöcklabruck.

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