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APA/AFP/FRANCK FIFE

Blumenaus WM-Journal

Systemumstellung, Götterdämmerung

Selten hat eine WM einen Paradigmenwechsel wie diesen gebracht. Selten haben sich totgelaufene Muster selber so ins Out geschossen. Alles zum ersten Viertelfinal-Tag.

Von Martin Blumenau

Im Internet des kleinen Mannes, im Teletext, hab ich heute eine kurze Meldung gelesen: Bayern-Coach Niko Kovac hat für die neue Saison eine „Systemumstellung“ angekündigt. Weg vom Ballbesitz-Spiel, von den Handballkreis-artigen Überlegenheitsläufen hin zu Tempo-Fußball, zu weiträumigen, das volle Spielfeld ausnutzenden Vorstößen und natürlich zu blitzartigen Gegenstößen nach Ballgewinn. Gib Speed!, würde Blaze, die Monstermaschine sagen.

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Dass sich heute mit Frankreich und Belgien zwei rolemodels dieses Stils durchgesetzt haben, dass mit Brasilien die letzte verbliebene große Ballbesitz-Mannschaft aus dem Turnier gedickkopft hat und somit Spanien und Deutschland nachgefolgt ist, das ist Zufall. Aber dann wieder auch nicht.

Denn die nicht mehr funktionierenden Muster, die haben sich bei dieser WM so stark verdichtet, dass auch der fortbildungsresistenteste Trainer es gecheckt haben müsste.

Belgiens genialischer Masterplan

Alle haben es gesehen und auch gebührend gewürdigt: das völlig verblüffende 4-3-3 von Roberto Martinez, mit dem er den bislang (wegen Fehlen jeglichen Beweises) als Fakt zu handhabenden Vorwurf, er würde nur ein System beherrschen und ohne Plan B in die WM zu gehen, umschmiss.

Nun ist aber eine Viererkette und ein davor das Zentrum zupickendes Dreier-Mittelfeld keine neue Erfindung (ich blicke einmal in Richtung Italien...) - bedeutend war, was Martinez und seine taktisch enorm reife Mannschaft bewirkt haben: Sie konnten Brasilien damit auf die Außenpositionen drängen. Und die hatte Martinez als Schwachstelle ausgemacht: Fagner sowieso, Marcelo ob seiner Langsamkeit, Willian in seiner Sprunghaftigkeit und dann halt der fallende Neymar... den Erfolg des Spiels auf deren Schultern zu legen, hm...

Nun wurden bereits Deutschland, Spanien und auch Portugal mit vergleichbaren Methoden auf die Flügel gedrängt, von wo aus sie Flanke um Flanke schlugen, ohne sich dann im Zentrum durchsetzen zu können. Stichwort: Muster, oder: Es wäre doch durchschaubar gewesen.

Brasilien brauchte bis zur Einwechslung von Renato Augusto (in Minute 73), um ein Gegenmittel zu finden - gut, Coutinho schien es mir schon zuvor kapiert zu haben, blieb aber allein. Das Anschlusstor bereitete er vor, indem er von der Seite ins Zentrum zog und erst danach - aus short range - auf Renato Augusto lupfte. Danach gab es ein paar tolle Szenen übers Zentrum, die aber jeweils knapp vergeben wurden.

Wie auch immer: Die Teams, die sich kreuz und quer übers Spielfeld zu Tode kombinieren, wurden allesamt abgestraft. Es ist Götterdämmerung, es ist Systemumstellung.

Und die meisten der tendenziell erfolgreichen Teams der WM tun es auch schon. England wie Belgien, Uruguay wie Frankreich, Mexiko in seinen besseren Spielen ebenso wie Kolumbien. Russland lieferte mit seinem 5-4-1 eine armselige Version des belgischen 4-3-3, aber es hatte immerhin eine Version.

Die letzte Mannschaft, die dem sturen Ballbesitz-Virus noch verfallen könnte, ist Kroatien - die müssen sich morgen entscheiden, was sie wollen und wie sie es anlegen.

Im Duell zweier Teams, die das beide draufhaben, war Frankreich zum einen das glücklichere (frühes Tor macht Tempogegenstöße), zum anderen aber auch das personell besser Besetzte. Auch weil Luis Suarez ohne seinen Edinson Cavani keinen Ball aufs Tor kriegt. Trainer Tabarez mutig aufgesetzte Mittelfeld-Raute mit dem supertalentierten Bentancur in der offensiven Position hielt die Chance am Leben, aber als er dann das Zentrum opferte, um über die Flanken zu kommen, war es vorbei - siehe das entsprechende Muster bei den anderen erwähnten Mannschaften.

Die Systemumstellung, die Niko Kovac mit Bayern angehen wird (da fällt mir grad ein, dass David Alaba vielleicht doch sein spanisches Angebot annehmen sollte...), wird sich an dem, was Frankreich oder Belgien zeigen, orientieren: exzellente Defensiv-Abteilungen, superschlaue Hybrid-Spieler im Mittelfeld, die Löcher zumachen und umschalten können und Angreifer, die den Ball durch die gegnerische Spielhälfte tragen, dribbeln und passen können.

Mit reaktionärer Defensive (wie sie Schweden oder Island spielen), die Bälle gewinnt und dann nach vorne drischt, hat dieses Tempo-Vor/Gegenstoß-System nichts zu schaffen; diese Ansätze verachtet es. Den konservativen Ballbesitz-Fußball aber auch, merklich. Und ab heute auch für alle sichtbar. Und mit Folgen.

Achtelfinale
AF1: Frankreich - Argentinien 4:3 Review
AF2: Uruguay - Portugal 2:1 Review
AF3: Spanien - Russland 1:1 - 3:4 i.E. Review
AF4: Kroatien - Dänemark 1:1 - 3:2 i.E. Review
AF5: Brasilien - Mexiko 2:0 Review
AF6: Belgien - Japan 3:2 Review
AF7: Schweden - Schweiz 1:0 Review
AF8: Kolumbien - England 1:1 - 3:4 i.E. Review
Viertelfinale
VF1: Frankreich - Uruguay 2:0 Review
VF2: Brasilien - Belgien 1:2 Review
VF3: Schweden - England 0:2 Review
VF4: Russland - Kroatien 2:2 - 3:4 i.E. Review
Semifinale
SF1: Frankreich - Belgien 1:0 Review
SF2: England - Kroatien 1:2 Review
Spiel um Platz 3
Belgien - England 2:0 Review
Finale
Frankreich - Kroatien 4:2 Review

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