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Kroatien jubelt

APA/AFP/Kirill KUDRYAVTSEV

Blumenaus WM-Journal

Der halbhohe Ball und das politische Augenzwinkern

Sportlich ist nichts dagegen einzuwenden, dass mit Kroatien die Mannschaft, die eine Idee mehr hatte als Gegner England, das zweite Halbfinale gewinnt. Sportlich nicht.

Von Martin Blumenau

Damit ich das schnell klarstelle: ich bin kein Freund des kroatischen Nationalismus, der nicht nur Hrvatska-Homeland, sondern auch die Ottakringer Straße und die meisten Orte der Diaspora durchweht. Und sich in Symbolen wie dem nur leicht abgewandelten Rot-weiß-Karomuster äußert, das dann, wenn es oben rechts mit einem weißen Karo beginnt (und links mit weiß endet), die Fahne der faschistischen Ustascha zitiert und feiert.

The daily blumenau bietet seit 2013 ebenso wie sein Vorgänger, das Journal, regelmäßig Einträge zu diesen Themenfeldern.

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Die Ustascha, Hitlers mörderische Schergen, die im aktuelle Kroatien als Folklore verniedlicht werden: eine rassistische Terror-Organisation, die zwischen 1941 und 45 als Marionettenregime der Achsenmächte amtierte. Ich sehe diese Trikots, auch mitten in Wien, und wenn ich die Träger darauf anspreche, höre ich entweder (echte oder verstellte) Unwissenheit oder spüre ein Augenzwinkern, weil scheinbar nichts dabei ist, wenn man die eigene Geschichte fälscht - oder den mörderischen Nationalismus und den Faschismus eh leiwand findet. Das ist so, wie wenn ein Lonsdale-Leiberl-Träger verschämt leugnet, dass er den NSDAP-Schmäh dahinter kennt; also zum Speiben.

Dafür kann eine (womögliche) Mehrheit der Fans, die ganz normale Freude am Spiel und dem Erfolg einer kleinen, aber intensiv daran arbeitenden Fußball-Nation hat, nix. Sehr wohl etwas dafür kann die kroatische Regierung, die diese generelle Haltung (nicht so schlimm, die Ustascha; und die aktuellen Auswüchse) befördert. Sehr wohl etwas dafür kann der kroatische Fußball-Verband (ein strukturell korrupter Verband, der von einem mafiös organisierten Klüngel, dessen Leader zu 6 Jahren Haft verurteilt wurde, aber das Land verlassen hat und die Partie von außen leitet), der diese Politik ganz bewusst unterstützt. Sehr wohl etwas dafür kann etwa der Spieler Domagoj Vida, der mit seinen martialischen Sprüchen in Richtung Serbien oder Ukraine ganz bewusst nationalistische Politik macht (und dafür von der diesbezüglich gerne untätigen FIFA, die jedes falsche Getränk pönalisiert, nicht belangt wurde).

Ich sehe diesen Vida übrigens gerne spielen, er ist ein Innenverteidiger, der ohne Fouls auskommt und Wucht nach vorne hat. Aber so richtig lässt sich das alles eben nicht trennen.

Man kann jetzt zurecht einwenden, dass der aktuelle vergleichsweise regional begrenzte, sich etwas lachhaft aufplusternde kroatische Nationalismus im Vergleich zu den historischen Verbrechen des britischen Empire ein echter Lercherlschas wäre - und hätte damit recht.
Wie immer zählt der Kontext: und weil die aktuelle englische Nationalmannschaft recht anschaulich als Friedens- und Integrations-Projekt daherkommt, kann ich ihr nichts davon umhängen. Das kroatische Team jedoch zieht den kruden National-Populismus ihres Umfeld ganz bewusst an, und arbeitet gezielt mit diesem Rohmaterial. Sie sind also mitverantwortlich.

Jetzt aber zum sportlichen Lob

Eigentlich dachte ich noch in der Halbzeit-Pause, es würde wie gestern werden: dass ich den Verlierer für seine grundsätzliche und durchaus brillante Spielidee loben würde. Dann drehten ein paar Kleinigkeiten (unter anderem als Resultat der erwähnten Idee) das Match und jetzt sieht es so aus, als würde ich dem Sieger Honig ums Maul schmieren; noch dazu trotz der vielen gesellschaftspolitischen Einsprüche.

Also, die Idee: Kroatien, Herr Dalic und sein Team, hatten sich etwas überlegt. Neben den Offensichtlichkeiten wie Standards verhindern, bei Cornern einen auf die Linie stellen, Druck über die Außen zu erzeugen, die Mitte zu verschließen etc.
Der Plan ging tiefer, in ein entscheidendes Detail: Die Karierten hatten eine exakte Idee, wie sie die Bälle in die gefährliche Zone bringen wollten. Nämlich halbhoch, und am besten mit Tempo aus dem Halbfeld, mit Zielspielern, die sie reinrutschen sollten. Nix mit Flanken in die Mitte: dass dort gegen die mit Lufthoheit versehene englische Abwehr kein Stich zu machen wäre, war den Planern ebenso klar wie die Tatsache, dass handballkreisartiges Herumspielen ohne in den Strafraum zu finden auch keinen Sinn ergeben würde. Nicht dass das dann im Verlauf des Spiels nicht auch passiert ist. Aber: die wichtigen Szenen, die großen Chancen, entstanden allesamt durch halbhohe Bälle. Dort, im kniehohen Bereich, sah Kroatien nämlich seinen Vorteil: den der besseren Technik, der höheren Beweglichkeit. Dorthin mussten die Bälle also.
Und dorthin kamen sie. Der erste davon in Minute 33, als sich die Kroaten vom Gegentor-Schock erholt hatten. Auch der Ausgleich: Perisic überlistet mit dem tiefen Fuß den in dieser Phase kurz unsicheren Walker, der den zu tiefen Ball fatalerweise mit dem Kopf klären wollte.

Das war wiederum ein Schock, von dem sich England fast 30 Minuten lang nicht erholte. Und auch danach konnte Gareth Southgate nicht mehr zusetzen. Die Idee Captain Kane in eine offensive Dreier-Reihe hinter Rashford zurückzuziehen, fruchtete nicht. Die zweite Idee - Umstellung auf ein 4-3-3 nach dem 1:2 aus englischer Sicht - wurde durch das verletzungsbedingte Out von Trippier zerstört.

Beide Teams hatten weite Phasen von Inaktivität - vieles davon aufgezwungen, vom Gegner oder den Umständen. Team England nahm allerdings viele Minuten von der Uhr, die durchaus produktiver genützt hätten werden können. Dieses Zeitspiel beherrschen die vergleichsweise erfahrungsarmen Jung-Teamspieler Englands aber etwas schlechter als zum Beispiel Nicht-Mehr-Gegner Frankreich.

So gesehen ersparen wir uns ein Finale von Original und jugendlicher Kopie und bekommen ein ähnliches Match wie das heutige - eines, in dem vielleicht auch die eine bessere Idee entscheiden wird.

Achtelfinale
AF1: Frankreich - Argentinien 4:3 Review
AF2: Uruguay - Portugal 2:1 Review
AF3: Spanien - Russland 1:1 - 3:4 i.E. Review
AF4: Kroatien - Dänemark 1:1 - 3:2 i.E. Review
AF5: Brasilien - Mexiko 2:0 Review
AF6: Belgien - Japan 3:2 Review
AF7: Schweden - Schweiz 1:0 Review
AF8: Kolumbien - England 1:1 - 3:4 i.E. Review
Viertelfinale
VF1: Frankreich - Uruguay 2:0 Review
VF2: Brasilien - Belgien 1:2 Review
VF3: Schweden - England 0:2 Review
VF4: Russland - Kroatien 2:2 - 3:4 i.E. Review
Semifinale
SF1: Frankreich - Belgien 1:0 Review
SF2: England - Kroatien 1:2 Review
Spiel um Platz 3
Belgien - England 2:0 Review
Finale
Frankreich - Kroatien 4:2 Review

Aktuell: