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DuMont/ Kiepenheuer&Witsch/ Fischer/ cbt/ Penguin/ Heyne Verlag/ dtv

Black Literature: Buchempfehlungen

Persönliche Buchempfehlungen, die strukturellen Rassismus gegen Schwarze Menschen aufzeigen oder auch einfach Schwarze Stimmen und ihre Lebenswelten zu Wort kommen lassen. Quer durch die Genres, quer durch die Welt.

“You think your pain and your heartbreak are unprecedented in the history of the world, but then you read. It was books that taught me that the things that tormented me most were the very things that connected me with all the people who were alive, who had ever been alive.” ― James Baldwin

Seit Tagen gehen Menschen in den USA aus Protest gegen Polizeigewalt an Schwarzen US-Bürger*innen auf die Straße. Auslöser war der Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einer brutalen Polizeikontrolle. Am vergangenen #BlackoutTuesday färbten auch viele nicht-Schwarze Unterstützer*innen ihre Profilbilder auf Social Media schwarz ein, um ihre Solidarität zu demonstrieren. Solidarität mit unterdrückten Mitmenschen darf da aber nicht stehenbleiben: Oft hört man von Schwarzen Menschen Geschichten darüber, wie entfernte Bekannte sie nach derartigen Vorfällen aus dem Nichts kontaktieren und sie darum bitten, ihre Erfahrungen zu schildern, Lesestoff zu empfehlen oder gar ihren verstörten weißen Kindern die Situation zu erklären. Die Antwort darauf kann nur sein: Educate yourself – bilde dich (selbst)!
Deswegen hier einige Tipps aus der FM4-Redaktion.

Yaa Gyasi - „Homegoing“ (2016)

dt. „Heimkehren“

Von Claudia Unterweger

Heimkehren von Yaa Gyasi

DuMont

„Heimkehren“ von Yaa Gyasi ist in einer Übersetzung aus dem Englischen von Anette Grube bei Dumont erschienen.

Auch wenn derzeit der Schock über die Tötung George Floyds groß ist: Rassismus und white supremacy, also die tiefe Überzeugung, dass die Vorherrschaft den Weißen gebührt, tauchen nicht aus heiterem Himmel auf. Wie sehr die USA bis heute in die scheinbar längst vergangene Zeit der Versklavung Schwarzer Menschen verstrickt sind, zeigt Yaa Gyasi in ihrem Debütroman „Homegoing“. In der Tradition von „Roots“ und anderen Klassikern der afroamerikanischen Literatur erzählt Yaa Gyasi, geboren in Ghana, aufgewachsen in den USA, die Geschichte einer Schwarzen Familie über 7 Generationen und mehrere Kontinente.

Die fiktive Familienchronik beginnt im kolonialen 18. Jahrhundert an der sogenannten Goldküste, heute Ghana. Das Mädchen Effia wird an einen britischen Sklavenhändler verheiratet und lebt im Castle an der Gold Coast. Sie ahnt nicht, dass im Verließ der Burg mit vielen Frauen und Mädchen auch ihre eigene Halbschwester Esi gefangen gehalten wird und der qualvollen Middle Passage, der Verschleppung nach Amerika, entgegensieht. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, mit unausweichlich dramatischen Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen: sie führt uns auf die Plantagen in Mississippi, zu den Missionarsschulen in Ghana, in heruntergewirtschaftete Clubs in Harlem und bis ins Heute, an die Elite-Uni in Stanford.

Yaa Gyasi erzählt berührend und spannend, verwebt die persönlichen Schicksale ihrer Charaktere mit der akribisch recherchierten kolonialen Geschichte Westafrikas und der USA. Ein Roman über Gewalt, Trauma, Überlebensstärke und Verbundenheit. Gyasis erstaunliches Debüt ist mittlerweile zum Bestseller geworden. Ich habe „Homegoing“ vor einigen Jahren von meiner besten Freundin Belinda zum Geburtstag bekommen. Ich bin ihr heute noch dankbar dafür.

Zadie Smith - „White Teeth“ (2000)

dt. „Zähne zeigen“

Von Jenny Blochberger

Zähne Zeigen von Zadie Smith

Kiepenheuer & Witsch

„Zähne zeigen“ von Zadie Smith ist in einer Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Der Roman beginnt mit einem verhinderten Selbstmord: der 47-jährige Archie Jones plant, sich in einer ruhigen Seitengasse in London mittels in sein Auto eingeleiteter Abgase zu ersticken. Der dort ansässige Fleischer Mo ist empört: Suizid, auf seinem Grund und Boden? Sicher nicht, dafür hat er keine Lizenz!

Mit diesem Ereignis ist der Tonfall von Zadie Smiths Debütroman etabliert: witzig, schnell, gespickt mit bizarren Details und ausgestattet mit einer liebevollen Ironie den Figuren gegenüber. In „White Teeth“ folgen wir den befreundeten Familien Jones (britisch-jamaikanisch) und Iqbal (britisch-bangladeschisch), sehen ihre Kinder geboren werden und aufwachsen und richten den Blick dabei auf die unterschiedlichen Positionen, in denen sich die einzelnen Charaktere zwischen ihren Kulturen verorten. Eine Identifikationsfigur, die für die Generation der in Großbritannien geborenen Einwandererkinder steht, ist die junge Irie Jones, hochintelligent, aber von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt. Sie und die Iqbal-Zwillinge Millat und Magid müssen sich neben den üblichen Pubertätswirbeln auch noch mit ihrer Identität auseinandersetzen. Wie britisch dürfen sie sein, welche Rolle spielen die Traditionen und Religionen ihrer Einwanderer-Eltern, wie weit passen sie sich an die englische Mehrheitsgesellschaft an und was wird überhaupt von ihnen erwartet? Zadie Smith hat einen scharfen Blick für Nuancen und Psychologie und einen Humor, der ihren Erstling zu einem wahren Lesevergnügen macht.

Die US-Literaturwissenschaftlerin Rudine Sims Bishop hat den Begriff von „Window and Mirror Books“ geprägt: manche Bücher sind wie Spiegel, in denen man sich selbst wiedererkennt, andere wie Fenster in eine andere (Lebens-)Welt – und beide sind wichtig für die Entwicklung von Kindern.
„White Teeth“ ist für mich ein hervorragendes „Window“-Buch: ein facettenreicher Einblick in die Lebenswelt von Einwandererfamilien und deren Nachkommen in London, und wahnsinnig unterhaltsam dabei. Dass Zadie Smith erst 24 Jahre alt war, als sie dieses geistreiche, rasante, überbordende Buch geschrieben hat, lässt mich ehrfürchtig niederknien (vor allem wenn ich an mein 24-jähriges Selbst denke). Natürlich steht etwa die Protagonistin Irie Jones nicht für jedes britisch-jamaikanische Mädchen, das in London aufwächst, sondern nur für sich selbst – und genau das sind die Geschichten, die wir brauchen.

Chimamanda Ngozi Adichie - „Americanah“ (2013)

Von Christian Pausch

Americanah von Chimamanda Ngozi Adichie

Fischer Taschenbuch

„Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie ist in einer Übersetzung aus dem Englischen von Anette Grube bei Fischer Taschenbuch erschienen.

Ifemelu, die Protagonistin in Chimamanda Ngozi Adichies wohl bekanntestem Buch „Americanah“, verlässt Nigeria und die dort herrschende Militärdiktatur, um in den USA zu studieren. Dort wird sie zum ersten Mal mit etwas konfrontiert, was sie in Lagos nie direkt zu spüren bekam: Rassismus. „When you make the choice to come to America, you become black. Stop arguing. Stop saying I’m Jamaican or I’m Ghanaian. America doesn’t care.“

„Americanah“, das ist der Igbo-Ausdruck, mit dem Ifemelu von nun an zuhause in Nigeria gerufen wird. Ihr Love-Interest Obinze will ihr eigentlich hinterher reisen, doch dann passiert 9/11 und die USA lassen ihn nicht über die Grenze. Er versucht sein Glück in UK und muss dort erstmal Toiletten schrubben, ein Schicksal vieler Einwanderer*innen, über das sich die beiden als Teenager*innen am Anfang der Geschichte noch lustig machen. Das Buch ist ein beeindruckendes Zeugnis junger Menschen, die sich vieles erhoffen, denen aber das meiste verwehrt bleibt, weil sie Schwarz sind, weil eine rassistische Gesellschaftsstruktur sich ihnen entgegenstellt.

Ifemelu beginnt ihren Unmut über den rassistischen Alltag in den USA in einem Blog zu dokumentieren, der viel Beachtung findet. Im Buch werden die Blog-Einträge visuell in einer anderen Schriftart hervorgehoben: „When a crime is reported, pray that it was not committed by a black person, and if it turns out to have been committed by a black person, stay well away from the crime area for weeks, or you might be stopped for fitting the profile.“ Chimamanda Ngozi Adichie ist auch die Autorin von u.a. „Half Of A Yellow Sun“, „Purple Hibiscus“ und „We Should All Be Feminists“ - alles große Empfehlungen.

Angie Thomas - „The Hate U Give“ (2017)

Von Maria Motter

The Hate U Give von Angie Thomas

cbt

„The Hate U Give“ von Angie Thomas ist in einer Übersetzung aus dem Amerikanischen von Henriette Zeltner bei cbt erschienen.

“I shouldn’t have come to this party”, denkt sich die sechzehnjährige Starr Carter. Es ist der erste Satz in Angie Thomas‘ Bestseller „The Hate U Give“. Im Lauf der Geschichte werden die Selbstvorwürfe schwinden. Starr Carter wird mitansehen müssen, wie ein Polizist ihren Kindheitsfreund Khalil erschießt. Ja, das ist ein Spoiler, doch im Grunde geht „The Hate U Give“ damit erst los. Zwei Millionen verkaufte Exemplare weltweit und eine Verfilmung im Jahr der Erstveröffentlichung sind eine Erfolgsgeschichte für sich.

„The Hate U Give“ spielt in einer fiktiven Stadt in den USA. Starr Carter ist in Garden Heights aufgewachsen: in diesem Viertel leben überwiegend Schwarze Menschen, zur Schule aber fährt ihre Mutter sie mit dem Auto in einen anderen, reicheren Bezirk, zur Privatschule Williamson Prep, die vor allem weiße Schüler*innen besuchen. Es ist eine Autofahrt, die Starr, ihren Halbbruder Seven und den kleinen Bruder Sekani täglich in eine andere Welt katapultiert. Starr Carter passt sich der jeweiligen Umgebung an, bis sie dafür weder die Kraft noch den Willen hat.

Tupac Shakur, Tumblr und das Ten-Points Program der Black Panters werden Rollen spielen; das innige Familienleben der Carters wird einer Gangkultur gegenübergestellt, genauso wie rassistischen Vorverurteilungen und sozialer Ungleichheit. Private und politische Konflikte, Polizeigewalt und weit verbreiteter Rassismus, Medienkritik und Popkultur – all das findet sich in Angie Thomas‘ Debütroman. Fans der US-amerikanischen Autorin beschreiben ihn als „Thug Life with a feminine twist”, hierzulande war das Buch in manchem Englischunterricht bereits Klassenlektüre. Ein Fortschritt.

Black Literature Bücherstapel

Jenny Blochberger

Wir haben in unseren Buchregalen gestöbert und teilweise erschrocken festgestellt, wie wenig Literatur von Schwarzen Autor*Innen sich darin findet. Das wollen wir ändern! Unter #BlackLiterature sammeln wir auf Instagram Bücher von Schwarzen Autor*innen – zeigt uns eure!

2016 hatte eine elfjährige Schülerin namens Marley Dias verzweifelt nach Büchern gesucht, in denen einmal nicht weiße Buben und deren Hunde die Hauptfiguren wären (#1000BlackGirlBook). Kürzlich erzählte ein Lektor auf Twitter, mit welchen Vorurteilen ein einziger Mann in einem Verlag verhindert hatte, dass der Verlag „The Hate U Give“ ins Programm nimmt. Das Angebot an Vielfalt an Identifikationsfiguren ist nach wie vor mehr als ausbaufähig. „The Hate U Give“ ist ein klassischer Emanzipationsroman. Einer, der auch volljährige Leser*innen unterhält und lehrt.

Angie Thomas war vor ihrer Autorinnenkarriere Sekretärin einer evangelikal-protestantischen Kirche in Jackson, Mississippi. Bald soll ihr dritter Roman erscheinen, in dem es um die Jugendjahre von Starr Carters Vater Maverick gehen wird. Immer wieder auch die Jugendliteratur-Tische und -Ecken in Büchereien und Bibliotheken zu beachten, lohnt sich. Denn was sich dort unter dem Label „Young Adult“ findet, ist vielfach von einer gegenwärtigen Brisanz, die man in vielen deutschsprachigen Romanerscheinungen vermisst.

Ekow Eshun - „Black Gold of the Sun“ (2005)

Von Chris Cummins

Black Gold of the Sun: Searching for Home in England and Africa

Penguin

„Black Gold of the Sun“ von Ekow Eshun ist bei Penguin erschienen.

“Even though my roots were in Britain it was a white country, and I’d felt like an outsider all my life. In Ghana I’d be another face in the crowd. Anonymity meant the freedom to be myself, not just the product of someone else’s prejudice.” That’s how British arts journalist Ekow Eshun explains his decision to spend a few weeks travelling around Ghana, the homeland of his parents, at the beginning of his book Black Gold of The Sun.

Born to Ghanaian parents and given a Ghanaian name, Ekow is bullied at school. “Throughout my childhood I was pestered by schoolyard wags who thought it hilarious to call after me in descending volume ‘Echo, echo, echo’.”

Later, as an adult working in London, he feels the “bigotries of the city” impacting his mental health. “I saw condescension in the eyes of bank clerks and malign intent in the story detectives watching me from the end of an aisle. Lynch mobs chased me through my dreams.”

His trip to Ghana ends those nightmares but doesn’t work as a magic wand to solve his feelings of rootlessness. To the Africans, even to his extended family, he is also an outsider; a westerner from a rich country unaccustomed to their ways. But on the journey, he examines his family history, reflects on the kidnapping of his people, visits the sight of a former slave market, discusses Afrofuturism and reconnects emotionally with his estranged brother Kodwo, who has once told him: “Africa’s not this idyllic place. It is a mistake to assume you can go back to some sort of motherland. That doesn’t exist. The only thing is to create a place of your own where you feel at home.”

As a white British reader, the haunting question that remains at the end of this absorbing and sometimes harrowing account of race and alienation, is how we have come to accept a society that has bred this source of mental anguish in the first place. I picked it up when it was published in 2005 because it was, on the surface, a travelogue set in a country where I had recently spent 9 months and I wanted to read of Ekow’s take on places that had become familiar to me. In the end, however, his account caught me off-guard for a different reason. I found “Black Gold Of The Sun” profoundly affecting because of the chapters set in the country where we both grew up. Ekow writes with devastating honesty of his sense of alienation caused by casual racism in Britain where a passport and birth-certificate are no guarantees of acceptance or indeed tolerance. This was the society I’d grown up in without giving too much thought for the everyday occurrences that caused Ekow so much pain.

Octavia E. Butler - „Dawn“ (1987)

dt. „Dämmerung“

Von Jenny Blochberger

Dämmerung von Octavia Butler

Heyne Verlag

„Dämmerung“ von Octavia E. Butler (Band 1 der „Xenogenesis“-Trilogie) ist in einer Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Barbara Heidkamp im Heyne Verlag erschienen.

Science Fiction war immer ein männlich dominiertes Genre. Wenige SF-Autorinnen erreichten eine ähnlich große Bekanntheit wie ihre männlichen Kollegen. Eine davon ist Octavia Butler, deren revolutionäre Zukunftsvisionen zu Recht mit diversen Genrepreisen bedacht wurden und die die erste Science-Fiction-Autor*in (männlich oder weiblich) war, die überhaupt jemals einen MacArthur Grant zugesprochen bekam. Die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Butler (1947-2006) befasste sich in ihrem Schreiben u.a. mit Fragen von Sex, Gender und Rassismus.

In „Dawn“, dem ersten Band der „Xenogenesis“-Reihe, erwacht eine Menschenfrau auf einem fremden Planeten unter der Obhut von hochintelligenten Aliens. Sie erkennt bald, dass die Aliens einen Plan für sie und die anderen Menschen haben, die alle von der zerstörten Erde gerettet wurden: sie sollen sich mit den Aliens paaren, um eine neue Rasse zu begründen. Was in den Händen von Hollywood unweigerlich auf einen menschlichen Befreiungskampf gegen die bösen Außerirdischen hinauslaufen würde, ist für Butler eine Spielwiese für philosophische Gedankenexperimente frei von Gut-Böse-Denken: die Aliens sind wohlwollend, ihr Plan würde das Fortbestehen der Menschheit sichern – aber um den Preis, dass die Menschen sich soweit ändern würden, dass es fraglich wäre, ob man sie noch als Menschen bezeichnen könnte.

„Dawn“ ist eine unglaublich inspirierende Lektüre, Science Fiction genau wie es im Idealfall sein sollte – große Fragen behandelnd, zum Nachdenken anregend und dabei keine vorgefertigen Antworten liefernd. Als jemand, der Science Fiction als Genre ernst nimmt, war ich von Butlers sachlichem Stil und ihrer ernsthaften Auseinandersetzung mit Fragen zu Sexualität, der menschlichen Psyche und dem Gewaltpotential der menschlichen Spezies begeistert.

James Baldwin - „If Beale Street Could Talk“ (1974)

dt. „Beale Street Blues“

Von Zita Bereuter

Beale Street Blues James Baldwin

dtv

„Beale Street Blues“ von James Baldwin ist in einer Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow und mit einem Nachwort von Daniel Schreiber bei dtv erschienen.

“We live in a nation of pigs and murderers.”
Wir befinden uns in Harlem, New York in den 1970er Jahren. Die Ich-Erzählerin, die 19-jährige Tish, sitzt im Gefängnis ihrem Verlobten Alonzo „Fonny“ gegenüber. Zwischen ihnen eine Glaswand. Aber die Glaswand ist lächerlich klein, verglichen mit der Glaswand, welche die Gesellschaft trennt. Denn Fonny hat nichts verbrochen. Der 22-jährige ist schwarz. Das genügt. Ein rassistischer weißer Polizist hat ihn willkürlich verhaftet. Tishs Zeugenaussage und Alibi ist völlig egal. Für die Weißen gelten andere Rechte. Die Glaswand ist dick.

In Rückblenden erzählt Tish die Geschichte der großen Liebe zwischen ihr und Fonny. Nebenbei gibt sie einen vielschichten Einblick in den New Yorker Alltag. Unterdrückung und Gewalt. Hass und Rache. Kriminalität und religiöser Fanatismus. Fonny will von all dem nichts wissen, will frei sein und Bildhauer werden. „Er ist niemandes Nigger. Und das ist ein Verbrechen in diesem beschissenen freien Land. Von irgendwem muss man der Nigger sein. Wenn man niemandes Nigger ist, dann ist man ein böser Nigger.“

Schnoddrig und direkt und doch häufig poetisch und atmosphärisch. Umgehend ist man gefesselt in diesem spannenden Setting mit glaubwürdigen Figuren. Und Obacht – wer zu nah am Wasser gebaut ist, sollte auch Taschentücher bereit halten.

„Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street geboren. Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und von der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben. Die Beale Street ist eine laute Straße. Es bleibt dem Leser überlassen, aus dem Schlagen der Trommeln den Sinn herauszuhören.“ Dieses Zitat von James Baldwin ist der deutschen Übersetzung vorangestellt.

James Baldwin: „Giovannis Zimmer“ rezensiert von Christian Pausch

Ein Schwarzer ist Opfer eines weißen rassistischen Polizisten. Überrascht darf da gegenwärtig niemand tun. Das ist gegenwärtig so. Das war in den 1970er Jahren so. Das war in den 1940er Jahren so, als James Baldwin vor dem Rassismus der USA erstmals nach Frankreich flüchtete. James Baldwin war befreundet mit Malcom X und Martin Luther King und wie sie einer der Köpfe der Bürgerrechtsbewegung und übrigens auch der Gay Community.

Seit zwei Jahren wird James Baldwin neu übersetzt - sehr gut von Miriam Mandelkow übersetzt. Wie zeitgenössisch das ist, erschreckt geradezu. Aktuell besonders “Beale Street Blues”. Der Roman wurde vor kurzem auch verfilmt. Auch wenn der Film „If Beale Street Could Talk“ beeindruckt – das Buch bietet weitaus mehr.

Tish und Fonny erwarten ein Kind. Die Liebe zu diesem ungeborenen Kind und die zwischen ihnen und Tishs Familie gibt ihnen Kraft, die Willkür, die Ungerechtigkeiten und Demütigungen zu ertragen. Und das stärkt auch beim Lesen. James Baldwin ist einer der ganz Großen. Er lässt uns die Glaswand erkennen. Durchschauen. Und hoffentlich auch abbauen.

Patrisse Cullors - "When They Call You a Terrorist: A Black Lives Matter Memoir (2018)

dt. „#BlackLivesMatter: Eine Geschichte vom Überleben“

Von Lukas Tagwerker

Buchcover in Schwarz-Gelb

KiWi

Die politische Autobiografie der #BlackLivesMatter-Mitgründerin Patrisse Cullors legt das rassistische System USA bloß und zwar als die Fortsetzung kolonialer Gewalt durch Kriminalisierung, Gefängnisindustrie und Polizeimorde.

Dabei zeichnet sie die psychischen und sozialen Folgen in ihrer eigenen Familiengeschichte nach und schildert die Entstehung des #BlackLivesMatter-Movements. Erinnern, Benennen und Verstehen von Gewaltdynamiken erfährt man dabei als Wege der Befreiung vom Schmerz.

Ein intimes Puzzle, ein wachhaltender Pageturner.

„#BlackLivesMatter. Eine Geschichte vom Überleben“ von Patrisse Cullors ist übersetzt aus dem amerikanischen Englischen von Henriette Zeltner und mit einem Vorwort von Angela Davis bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

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