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USA gewinnen die Frauen Fußball-WM

FRANCK FIFE / AFP

Blumenaus Fußball-Journal

Der Schritt in die Normalität

Stell dir vor es war Frauen-Fußball-WM, und es war in erster Linie die Rede von der sportlichen Qualität; und dem politischen Impact. Und das Gerede von Scheren und Gaps, die paternalistischen Vergleiche und andere Gender-Relativierungen waren nur Randthema. So weit von diesem Ideal war die WM 2019 gar nicht entfernt.

Von Martin Blumenau

Die Zahl der Teams, die bei dieser gestern mit dem verdienten Favoriten-Sieg der USA höchst kurzweilig abgeschlossene achten Fußball-WM der Frauen, prägnanten, physisch wie taktisch anspruchsvollen, unterhaltsamen, fernsehhauptabendtauglichen und somit hochwertigen Sport boten, war so hoch wie nie zuvor. Die Zahl der Matches auf entsprechender Augenhöhe detto.

Zuletzt zur Frauen-WM in Blumenaus Fußball-Journal, das jetzt wieder regelmäßig erscheint: alles zum Halbfinale, Zwei deutsche Niederlagen im Vergleich, Vorweggenommene Finalspiele zum Viertelfinale Frankreich - USA sowie Frauen-Fußball wird wie Männer-Fußball und das ist nicht nur gut so. Davor: Zur Untrennbarkeit von Fußball und Politik mit zwei Beispielen aus dem Frauen-Fußball. Und das war die Vorrunden-Bilanz der Frauen-WM, nach einem ersten Blick und einem zweiten auf Deutschland vs Spanien.

Zuletzt zur Copa America: alles zum Halbfinale Brasilien - Argentinien, eine erste Bilanz und eine Preview.

Zuletzt im Journal: Warum andere Sportarten den politisch besser vernetzten heimischen Fußball hassen am aktuellen Beispiel in Linz. Und: Germanys Next Bundesliga-Coach - die heimische Liga als Versuchs-Labor. Dazu auch eine Analyse der Position der Chef-Coaches und die Bilanz der letzten Saison, alles über die systematische Analyse-Verweigerung nach der U21-EM. Die Nachlese zur Niederlage der U21 gegen Dänemark: Nachträgliche Relativierung und die Analyse des Sieges über Serbien. Davor Texte über den letzten Test vor Beginn der ersten U21-Euro an der der ÖFB teilnehmen darf. Und eine Nachlese zum Finale.

Außerdem: Vorteil Dänemark: Fußball im digitalen Zeitalter; eine Analyse der Hahnenkämpfe um die globalen Fußball-Rechte anlässlich des Afrika-Cups, eine Analyse der geschlossenen Gesellschaften im Fußball Closed Shop – am Beispiel der beginnenden UEFA-Bewerbe und des Trainingsbeginns der Liga-Meisterschaft.

Und noch eine Nachbetrachtung zum Mazedonien-Ausflug des ÖFB-Teams sowie Preview und Nachlese zum Slowenien-Länderspiel.


Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Regelmäßiges zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs folgt im Herbst.

Für mich ist mittlerweile ein Level erreicht, das die ständigen Aufrechnungen mit der Männersparte oder Vergleiche mit dem Entwicklungs-Stand bei anderen Sportarten nicht braucht. Es ist Alltag. Ich sehe zeitgleich Spiele bei der Copa America, dem Gold Cup der nord- & mittelamerikanischen Föderation und beim Afrika-Cup, und da sind Niveau-Unterschiede Normalität.
Wie überall; auch im echten Leben übrigens.

Die aktuelle Überthematisierung der öffentlichen Bewertung des Frauen-Fußballs (die in den meisten Medien ohnehin nur alle zwei Jahren, aus Anlass eines großen Turniers durchgeführt werden) erfüllt in erster Linie den Zweck der Bestätigung von eigentlich bereits Überwundenem. Wer Ignoranz, Fehleinschätzung und Vorurteilsbestätigung sucht, wird sie (im Zeitalter von Hatespeech, Überkommentierung und gefühlten Wahrheiten sowieso) immer und überall finden.

Ab jetzt dann: fad

Bei jenen hingegen, die sich mit der Materie beschäftigen, ist die WM 2019 nach der bereits in jeder Hinsicht anspruchsvollen Euro 2017 der letzte Markstein, der diesbezüglich noch öffentlichkeitswirksam gesetzt werden muss.

Ab jetzt wird es für alle, denen die Aufgeregtheit wichtiger ist als der Sport, echt fad werden: Frauen-Fußball wird normal, so normal wie Frauen-Handball oder Frauen-Volleyball, wie Frauen-Skifahren oder Frauen-Tennis oder Frauen-Leichtathletik.

Wenn irgendwo ein weiblicher Star oder ein gutes Team auftaucht, dann werden die Frauen mehr Interesse bekommen als die Männer. Und umgekehrt. Der immer noch existierende Pay Gap wird systematisch kleiner werden, vielleicht sogar verschwinden, solange das Thema gesamtgesellschaftlich behandelt wird.

Menschen, die an Fußball eh nur dann interessiert sind, wenn ein Großereignis sie packt, bekommen mit dem Frauen-Fußball noch ein Angebot dazu: die FIFA hat sie spätestens jetzt als Gelddruck-Maschine entdeckt und arbeitet jetzt schon an der künftigen Vermarktung: die nächste WM wird mit 32 Teams stattfinden, und bis 2023 wird sich das vom allgemeinen Niveau auch ausgehen. Spätestens ab dem Achtelfinale wird es knallen wie bei einem Feuerwerk.

All jene, die sich als Beobachter/Zuschauer durch die Niederungen der heimischen Ligen quälen, bekommen Mittelmaß. Bei Männern wie Frauen. Der ÖFB pflegt seine aus dem Sommermärchen 2017 hervorgegangene Zusatz-Marke mit immer neuen Features und wird sich hoffentlich für die Euro 2021, an der die 16 besten Teams teilnehmen dürfen (zu denen die Österreicherinnen definitiv zählen) qualifizieren. Das Level bei diesem Turnier wird dann noch einen Dreh höher sein als beim gerade abgedrehten.

Die weiteren Entwicklungen sind jetzt schon absehbar, rasant und unaufhaltsam. Die machtvollen Struktur-Träger des Männerfußballs, die superreichen Vereine, Verbände und Ligen werden eine bereits in Arbeit befindliche Parallelstruktur aufbauen und einen gewaltigen Professionalisierungs-Schub einleiten. Der auch sämtliche Nachteile den die Herrschaft dieser postkolonialen, turbokapitalistischen Kraken nach sich zieht, beinhalten wird - im Detail hab ich das bereits vor zwei Wochen hier beschrieben.

Birgit Riezingers Nachlese & Ausblick über die kleinen österreichischen Schritte nach einer großen WM.

Für das kleine Österreich bleibt dieselbe Rolle wie im Männer-Bereich: man wird Entwickler, Ausbildner und Zulieferer für die großen Ligen werden und kriegt dafür in return eine gut ausgebildete ÖFB-Teamtruppe von Legionärinnen (wie es ja jetzt schon prototypisch der Fall ist), deren Popularität dann auch die Rapids und Red Bull dazu zwingen wird ein Frauenteam aufzustellen. Sofern sie es nicht anlässlich der ’21er-Euro ohnehin tun werden.

Zum (gesellschafts)politischen Impact der achten Frauen-WM: Megan Rapinoes Hymnen-Protest (auch schon vor zwei Wochen hier Thema) wirkt deutlich intensiver als etwa bei der Herren-Mannschaft der USA. Die bestritt heute Nacht ihr großes Kontinental-Finale und es setzte dort ein gemischtes Zeichen, a mixed messege.

Kapitän Weston McKennie und Superstar Jozy Altidore verweigerten mit ernster Miene das Absingen; Verteidiger Reggie Cannon und die acht Weißen der Final-Mannschaft sangen brav bis inbrünstig mit. Verloren haben sie zwar nicht deshalb, aber eben auch noch, 0:1 gegen Mexiko. Sie haben keine Schlagzeilen gemacht. Die Wirkung von Rapinoes Verweigerung ist/war ungleich stärker.

Race & Class

Was auch mit der ethnischen Struktur der US-Frauschaft zu tun hat: bis auf Außenverteidigerin Crystal Dunn (die, sportliche Nebenbemerkung, die Hauptaufbau-Arbeit der US-Abwehr übernahm, weil die beiden Innenverteidigerinnen das einfach nicht können) sind alle Spielerinnen käseweiß, zumeist klassische obere Mittelschicht. Und es ist (unüblicher) weißer Protest, der (gewohnten) schwarzen Protest schlägt, nicht nur medial.

Auch die ethnische Durchmischung, die bei den Herren-Teams aus England oder Holland herrscht, wird von den Damen-Teams kaum gespiegelt: Mittelschichts-Weiße allerorten. Wenn man sich die französischen Frauen und die U21-Männer ansieht, dann ist der Unterschied auch eklatant. Bei den Schwedinnen war Asllani allein auf weiter Flur, ganz im Gegensatz zu der deutlich diverseren Herkunft der Männer.

Die zentrale Frage von Herkunft und Klasse ist im Frauen-Fußball (noch) deutlich weniger Thema, auch weil die Zugänge sicher schwieriger sind. Gilt für Österreich natürlich genauso. In diesem Feld liegt der nächste relevante Ansatz eines schon weitestgehend in der Normalität angekommenen Frauen-Fußballs. Weil diese Normalität dann eben auch (Klassen-)Normativität bedeutet, die Akzeptanz der Herrschafts-Systeme unserer Gesellschaft.

Den Text gibt’s auch zum Anhören als Podcast.

Blumenaus Fußball-Journal 080719

Und doch noch ein PS:

Weil ich vorher, Stichwort: Crystal Dunn, kurz etwas zur sportlichen Klasse anmerken musste - das kommt auch hier, wenn es um Prinzipielles geht, wieder zu kurz. Deshalb noch kurz meine Highlights dieser WM: Sari Van Veenendal und ihre Saves, Lucy Bronze und ihre Läufe, der wuchtige Aufbau von Irene Paredes und Mapi Leon, die jugendliche Verve von Giulia Gwinn, Lena Oberdorf und Klara Bühl, die Standards von Assist-Königin Sherida Spitse, der Kopf von Wendy Renard, die Ruhe von Amandine Henry, der Killerinstinkt von Ellen White und Vivianne Miedema, die Strahlkraft von Marta und natürlich Rose Lavelle und vor allem Tobin Heath, meine heimliche Lieblingsspielerin und die amerikanische Kapitäninnen-Dreifaltigkeit. Amen.

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